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IZIELLES ( R"E S MANNHEIM, HEIDELB RGl UWI UND DES VERBANDES iRISRg KULTUSGEMEINDEN DER PFALZ: I ., / n. *" I3 -: -. SONDERNU :II GEMEINDE v-v, :A. :_l. 2,... ." . AMER MANNHEI ." "" :' rl ,.. '" "" " p;*i- .,J; .. . :. : ., :^^ - -. *-W . ,. - ^., . -.:' i * o */, .: ," .'.- ,.. * :':;'. .i.: ." %,. !;...: .... : : . '.:,S . /.: ,. 1^:i "'. :.' : "i:,'; .i!:*. ].^.'. , o .: , -. A ~.. :- ~4%A-I~%.'if ....-r Verlagsort Mannheim 2 Ausgabe A ISRAE LITISCH ES GEMEI N DE BLATT Offizielles Organ der Israel. Gemeinden Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen a.Rh. und des Verbandes der Israel. Kultusgemeinden der Pfalz. Abonnementspreis vierteliahrlich 60 Rpf. bei 2 mal monat- aD iseitich Glat Alle fOr dis Scriffleitung bestimiten Zuchr.ffen sind an lichem Erscheinen zuzOglich Bestellgeld. Das israelitlsche Gemeindeblatt Herrn Dr. iur. Franz-Ludwig Auerbach Anzeigen nach Tarif. Platzvorschrift ohne Gewahr. erscheint monatlich 2 mal MANNHEM, B 7,7, zrichten Persnnreher 25388 -esh~tstele *, ,.Anzeigenanoahme: H. Perls-ein, Mannheim, Geschaftsstelle: Ludwigshafen a. Rh., Schulstr. 14 Rosengartenstr. 30 / Telefon Ludwigshafen a. Rh. 62318 Ausgabe A ist das alleinige amtliche Organ der israelitischen Gemeinden Mannheim, Ludwigshafen a. Rh. und Heidelberg, mit dem die jadischen Einwohner dieser Gemeinden und der Pfalz beliefert werden; die Ausgabe B ist das alleinige amtliche Organ aller anderen jodischen Gemeinden in Baden. Nachdruck der in diesem Blatt abgedruckten Artikel ist nur mit Genehmigung der Schriftleitung gestattet. 14. Jahrgang Mannheim, den 9. September 1936 (22. Elul 5696) Nr. 17 . . Photo Julius Guggenheimer, Memmingen. 4/[o Verlagsort Mannheim 2 Ausgabe A IS R-AE LIISC ES SGEMEIN DE BLATT Offizielles Organ der Israel. Gemeinden Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen a. Rh. und des Verbandes der Israel. Kultusgemeinden der Pfalz. Abonnementspreis vierteliahrlich 60 Rpf. bei 2 mal monat- Alle fr die Schriftleitu n bestimmten Zuschrnien sind an lichem Erscheinen zuzOglich Bestellgeld. Das Israelitlsche Gemelndeblatt Herrn Dr. iur. Franz-Ludwig Auerbach Anzeigen nach Tarif. Platzvorschrift ohne Gewahr. erscheint monatlich 2 mal MAN zeigManBah7,m zHu ertein, hemr Geschaflsstelle- Ludwigshafen a. Rh., Schulstr. 14 Rosengartenstr.30 / Telefon Ludwigshafen a. Rh. 62318 r Ausgabe A ist das alleinige amtliche Organ der israelitischen Gemeinden Mannheim, Ludwigshafen a. Rh. und Heidelberg, mit dem die judischen Einwohner dieser Gemeinden und der Pfalz beliefert werden; die Ausgabe B ist das alleinige amtliche Organ aller anderen judischen Gemeinden in Baden. Nachdruck der in diesem Blatt abgedruckten Artikel Ist nur mit Genehmigung der Schriftleitung gestattet. 14. Jahrgang Mannheim, den 9. September 1936 (22. Elul 5696) Nr. 17 '' i 9 .a lX. qun aajBu' 3a ;k Photo Julius Guggenheimer, Memmingen. -IIlll -*ii' H u H ~ i i i~ ~~i i Seite 2 Isra*elitischesGemeindeblatt 14. Jahrgang / Nummer 17 Die Gemeinde Unsere Gemeinde Der ursprfingliche AnlaB zu diesem Gemeindeblatt war, daran zu erinnern, daB unser Wohlfahrtsamt zehn Jahre be- steht, and damit auch Dank zu sagen der Frau, die nun ein Dezennium so ausdauernd und so menschlich zusammen mit ihren Mitarbeitern nicht ein Amt geleitet hat -, sondern allen und in allem der erste Heifer war. Aus dem ursprfinglichen AnlaB ist mehr geworden: ein Gesamtbericht und eine Bilanz. Sie geht nicht nur fiber die letzten zehn Jahre. Es ist fraglich, ob diese Bilanz geglfickt ist. Ist sie es nicht, dann gehArt auch das zur Bilanz. Denn so nahe es uns heute liegt, SchluBstriche zu ziehen, so schwer wird uns doch die Zusammenfassung. Dazu gehirt Ruhe, Ab- stand, gesammelte Kraft. Die Freunde, zu denen dieses Blatt wandern wird, werden unschwer erkennen, daB nicht nur unsere Gemeinde gemeint ist, sie werden hinter dem Bericht fiber unsere Gemeinde die Gemeinden erblicken und die Idee der Gemeinde. Die Idee nicht als ein Abstraktum, sondern als der Ort, in dem Juden einander begegnen, miteinander beten, lernen und einander helfen. Was wir haben, haben andere Ge- meinden auch, die einen mehr, die anderen weniger. Aber das, was im Laufe der letzten Zeit bei uns entstand, hing mit dieser Idee zusammen und wurde aus ihr geboren. Es gab einige un- ter uns, die sich mit ihr identifizierten, die ganz in ihr dachten und in ihr aufgingen. Es waren ihrer nur wenige, aber in Wirklichkeit stellten sie die Gemeinde in sich dar. Sie dachten etwa so: Die Gemeinde ist das verbindende Prinzip unserer Zerstreuung, sie ist in der Zerstreuung ein Stfck Heimat; sie ist kein zusammengelaufener Haufen. Sie hat Gestalt, Willen und Tradition. Was in ihr entsteht, muB von ihrem fiberper- s6nlichen Wert Zeugnis ablegen. ,,Veranstaltungen", die in ihr geschehen, werden Verunstaltungen dieses Gemeindegedan- kens, wenn sie rnit ihm nicht zusammenhbingen, die Menschen nicht formen und sie nicht zu ifidischen Persinlichkeiten er- ziehen. Das Leitmotiv ihrer Arbeit war demgemaB: was in der Gemeinde geschieht, muB durch sie geschehen. Der Strom des Lebens und einer, zumal nach dem Kriege, themenreichen Zeit sollte durch sie hindurch geleitet werden und das chaotisch Vielfdiltige einen jfidischen Charakter erhalten. Diese Auffas- sung enthielt einen Protest gegen die Art, wie die Gemeinde sich entwickelt hatte, gegen ihre VerauBerlichung, gegen ihre Verbdung, gegen ihren Mangel an verpflichtender Kraft. Es sollte sich ein neues Verstandnis vorbereiten, das zugleich die Tidtigkeit des Rabbiners wie das Leben des Gemeindemitglie- des in einem neuartigen Zusammenhang und auch in einer neuen von der Gemeinde zurfickstrahlenden Wfirde sah. Man- cher wird sich vielleicht der kollektiven Leistungen der Ge- meinde auf allen Gebieten erinnern, der gelungenen und der miBlungenen Versuche, die gleichwohl nicht vergeblich waren, der abgeschlossenen Leistungen und solcher, die noch fort- dauern. Er wird sich daran erinnern, daB eine Gemeinde freu- dig Anteil nahm und daB die Zahl der Teilnahmslosen kleiner wurde. Daran, an dieser Gefolgschaft hat sich bis heute nichts gedindert. Die von uns hier gemeinte Zeit war nicht nur eine Zeit der stfirmischen Auseinandersetzung fiber alle Grund- fragen des Lebens, sondern eine Periode der Wiederaneignung jiidischer Inhalte. War dieser ProzeB ein langsamer und sein Ergebnis nur ein Bruchstiick, so kfindigte sich doch in ihm eine neue Epoche eines selbstandigen jfidischen Denkens an. Was war diese Arbeit, die uns so lange in Atem hielt, wert? Die religiose Ohnmacht wurde durch sie nicht in eine religi6se Kraft verwandelt, die sozialen und gesellschaftlichen Unterschiede wurden durch sie nicht aufgehoben, die Gemeinde hielt den Juden nicht als ganzen Menschen fest; mit einem iresentlichen Teil seines Leben, mit seinem Beruf, blieb er auBerhalb ihrer. Und die letzte und empfindlichste Wider- legung der ,,Lehre von der Gemeinde" bringt uns die Gegen- wart. Einer nach dem anderen 16st sich von der Gemeinde, sie bleibt nicht zusammen und sie geht nicht zusammen. Was den Ausgewanderten noch an sie bindet, ist ein vages Inter- esse,, ein Interesse an einzelnen Personen, und die Verpflich- tung gegenfiber dem zurfickgebliebenen groBeren Teil der Gemeinde wird gemeinhin nicht gerade schwer genommen. Die wenigen Ausnahmen wiegen darum um so schwerer. Waren also all die Jahre ein einziger Irrtum, so wie wir in der vorausgegangenen Epoche Irrtum fiber Irrtum sahen? Haben wir der Gemeinde nicht zuviel zugetraut, indem wir ihr soviel Mut zu sich selber machteM, ihr mehr Inhalte, Lei- stungen und Forderungen zuschrieben, als sie in Wirklich- keit tragen konnte? Haben wir vielleicht in sie etwas hinein- gedichtet, was in Wahrheit nur eine Kraft und Hoffnung weni- ger war? Und haben wir nicht die Gemeinde fibersteigert und den groBeren Zusammenhang, in den wir eingereiht sind, vernachlissigt, das Volk ndmlich, das mehr ist als die Ge- meinde? Diese Einwinde, die uns um die Frucht einer gut gemeinten Arbeit bringen, bestehen zu Recht. Und dennoch: sie treffen nicht den Gedanken der Ge- meinde, der in der Geschichte und seinem Wesen nach be- griindet ist. Nicht um eine Ueberspannung des Gemeinde- begriffs handelte es sich, sondern um die Unmrglichkeit, diese in eine andersartige Umwelt eingesprengte Gemeinde faktisch zu einer Lebensgemeinschaft werden zu lassen. Auf der anderen Seite und hier miissen wir wohl das MaB des Historischen anlegen war dieses unvollkommene Bemiihen etwas Not- wendiges. Denn in ihm suchte sich der Wunsch, zu einer star- keren und reineren Zusammenfassung jiidischen Lebens zu gelangen, seinen Ausdruck und seinen Ausweg. Das deutsche Judentum ist westliches Judentum. Seine Begabung ffir Or- ganisation war immer grbBer als sein Talent zur Gemein- schaft. Und es war kein Irrtum, da.B wir die Gemeinschaft auch in der Gemeinde wiederfinden wollten. Das Gericht, das wir fiber uns selber halten, entlaiBt uns nicht aus der Verpflichtung zu tun, was zu tun ist, und auf allen Gebieten in der nun hunter ganz anderen Umstflnden be- wirkten Volksgemeinde die an uns gestellten Forderungen zu erfiillen. Es ist zu beffirchten, daB das geschriebene Wort al- lein nicht ausreichen wird, um einen wirklichen Einblick zu geben. Auch Bild und Zahl, die wir als Mittel zur Illustration hinzugenommen haben, sind ein schwacher Behelf. Aber auch so wird dieser Bericht genfigen, um den entfernten Freunden die Gemeinde wieder nahezubringen, mit der sie so lange ver- bunden waren, und sie werden nicht den Eindruck haben, daB wir mutlos geworden sind und nicht zu antworten wiiBten auf die sachlichen Fragen und N6te. DaB wir dem Einzelschicksal nicht immer gerecht werden kinnen, daffir bedarf es keiner Entschuldigung. Wir wollten mit dem Bericht fiber unsere Gemeinde nicht nur an uns erinnern, obwohl es dessen bedarf. Wir wollen vielmehr auch d!e Hoffnung zum Ausdruck bringen, daB etwas von den Krdiften, die hier am Werke waren, unsere Menschen in die neuen Stiitten und Schauplatze ihres Lebens und jiidi- scher Begebenheiten begleiten. DrauBen wachsen oder ent- stehen neue Gemeinden, und manchmal, wenn auch seltener, Gemeinschaft. Und das Ueberkommene wirkt, bewuBt oder unbewuBt, fort. In seiner Erziihlung ,,Im Herzen der Meere" beschreibt der Dichter Agnon, wie Zionsfahrer Abschied nehmen von der al- ten Heimat. Sie gehen noch einmal in ihre Schul und in ihr Beth hamidrasch, zu den Grlibern der Familien und der From- men, sie gehen zu ihren Nachbarn und bitten ihnen das Un- 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 2 14 aign _I Nrne 7Ireiice e enelt et recht ab, das sie ihnen vielleicht angetan haben, und schlielB- lich gehen sie auch zu dem FluB, der durch ihren Ort flieBt und bitten, er m6ge ihnen gut gesinnt sein, denn seine Wasser wer- den in. das Meer miinden, in dasselbe Meer, dessen Wellen sie einer neuen Heimat zutragen. Das Kleine ist mit dem GroBen irgendwie verbunden, das Alte mit dem Neuen, das Begrenzte mit dem Unbegrenzten. Und die Eiemente, die an ihrer Stelle wirkten, werden irgendwann wieder lebendig und vermihlen sich dem neuen Leben. Dr. Max Griinewald. Vergangene Tage (Aus der Geschichte der jiidischen Gemeinde Mannheim) Unsere Germeinde kann ihren Ursprung weder in die sa- genumwobene Vergangenheit der Muttergemeinden Worms, Speyer und Mainz zuriickverlegen, noch darf sie sich des Alters mehrerer Nachbargemeinden an der BergstraBe riihmen, die,. wie Weinheim, Ladenburg, Schriesheim, Heidelberg und Wiesloch, schon im 13. und 14. Jahrhundert entstanden. In keinem kurpfalzischen Judenschaftsverzeichnisse aus der Zeit vor dem 30jahrigen Kriege sind Mannheimer Juden genannt. Und doch haben sich solche zeitweilig in dem Fischerdorfe., aus dem unsere Heimatstadt hervorging, aufgehalten. Obwohl Kurffirst Ruprecht II. 1395 angeordnet hatte, daB fair ewige Zeiten in der Pfalz keine Juden mehr geduldet werden soilen und dieses Hausgesetz von den folgenden Regenten mehrfachl in Erinnerung gebracht wurde, verlangten die Bewohne.r man- cher Orte die Belassung ihrer Juden, wie dies Kurfiirst Ludwig mit dem Bart (1508-1544) von den Burgleuten in Mannheim versicherte. Mehr als diese Andeutung, die von einem hohen kurpfalzischen Beamten gegen Ende des 18. Jahrhuniderts in einer Denkschrift niedergelegt wurde, ist fiber diese aller- ersten Juden in Mannheim nicht bekannt. Ob, als 1607 aus dem Fischerdorfe eine Festung und Stadt wurde, unter den aus allen Gegenden herbeigekommenen Ansiedlern auch Juden waren, ist aus den wenigen Nieder- schriften, die aus den Entstehungsjahren erhalten blieben, nicht ersichtlich. Das Wormser Memorbuch verzeichnet, daB am Donnerstag, den 5. August 1622, in Mannheim ein Rabbi David bar Chajim gestorben sei, der am folgenden Sonntage in Worms bestattet wurde. Es handelte sich aber, wie das Wormser sog. ,,Graine Buch" berichtet, uum keinen in Mann- heim ansissigen Glaubensgenossen, sondern es war gerade in der Zeit, als Tillys Truppen in die Pfalz eindrangen um einen von Soldaten dahin verschleppten. Zuverlassige Nachrichten fiber das Vorhandensein einer Judengemeinde in Mannheim liegen erst seit der zweiten HIilfte des 17. Jahrhunderts vor. Als Kurfiirst Karl Ludwig nach dem Westfilischen Frieden die Regierung seines Landes antrat, fand er die Pfalz verwiistet und ents vblkert. Zum Wiederaufbau bedurfte er Menschen, die er aus allen Gegenden durch Zusage weitgehender Rechte und Freiheiten herbei, rief. In den Niederlanden, wo er whhrend der Kriegsjahre als FlUichte ling gelebt hatte, konnte er den Anteil der Juden an der Hebung des hollandischen Wirtschaftslebens kennenlernen und mit eigenen Augen sehen, wie durch die aus der Pyrenaenhalbinsel herbeigekommenen Marranen eine Handelsbliute fuir Holland geschaffen und namentlich Amsterdam Hauptsitz des Ueberseehandels wurde. Darum sah es Karl Ludwig nicht ungern, daB sich auch Juden in der Kurpfalz ansiedelten, denen "in Ansehung des verderbten Zustandes des Landes, auch be-, kannten Mangels an Vieh, Pferd und Hausrat" gestattet wurde, ,gute Pferde, tiichtiges Rindvieh und allerhand Hausrat in die Pfalz zu bringen". Besonderen Nutzen versprach sich Karl Ludwig von der Handelsi tatigkeit der Juden in Mannheim. Hier, an der Vereinigung von Rhein und Neckar, sollte ein neues Amsterdam erstehen und dazu, glaubte er, konnten ihm portugiesische Juden verhelfen. Als er ,alle ehrlichen Leute von allen Nationen" zur Niederlassung in Mannheim aufforderte, befanden sich unter den Herbeigekommenen einige Judenfamilien. Sie waren um 1655 zunichst aus benachbarten, meist linksrheinischen Orten zugezogen. In den folgenden Jahren gesellten sich zu ihnen Ansiedler aus der weiteren Umgebung, sowie die sephardischen Familien Astruk, Carcassone, Montel und Nacquet, die zuvor in Avignon gelebt batten und die ganz besonders den Warenaustausch mit der zahlreichen, franzosisch sprechenden Bevolkerung besorgen sollten. Auch aus Polen batten sich einige Familien vor Chmjelnizkis Verfolgungen in die neue Zufluchtsstatte begeben. Ihre Zahl war bald den deutschen Juden zu groB, so daB sie sich 1664 gegen die Vermehrung der Polen verse wahrten. Nach der Ausweisung der Juden aus Oesterreich (1670) und der Abtei Fulda kam wieder ein neuer Zustrom, so dab die junge Ge, meinde nach etwa zwanzigjghrigem Bestehen schon gegen 80 Familien stark war. Bemerkenswert ist, daB heute noch zahlreiche Nachkommen der ersten jiidischen Ansiedler in Mannheim leben; es seien nur die Namen Bensheim, Bensdorf, Dinkelsoiel, Fuld, Hachenburg, Kalter und Lorsch genannt. Die Grundlage fiar die Lebensbedingungen der jungen Ge- meinde bildeten die Konzessionen von 1660, die den Juden ,,deutscher und portugiesischer Nation" gesondert verliehen wurden. Sie enthielten weitgehende Rechte, wie sie sonst nirgends in Deutschland far Juden galten. Als Vorlage hatten die Privilegien gedient, die die niederlindischen Generalstaaten den Amsterdamer Juden verliehen hatten. Die Konzession der Portugiesen, die nur kurze Zeit eine gesonderte Gemeinde bildeten, war weitgehender als die der Aschkenasim. Abge- sehen von der Beteiligung an der stadtischen Verwaltung waren die Juden mit der fibrigen Bev6lkerung gleichberech- tigt und hatten wie diese Anspruch auf Gewerbefreiheit. Auch am stidtischen Bfirgernutzen hatten sie Anteil. Geringer Vor- teile wegen verzichteten sie aber schon 1664 darauf, ohne zu ahnen, welch schwerwiegendes Recht sie hiermit preisgaben. Jeder deutsche Jude, der sich in Mannheim niederlassen wollte, war verpflichtet, binnen lahresfrist ein Haus zu bauen, dessen Aus, maBe und Beschaffenheit in der Konzession genau angegeben waren. Vordem waren die Mannheimer Juden genotigt, den Friedhof in Worms zu benutzen und den dortigen Rabbiner in religibsen und rechtlichen Angelegenheiten zu befragen. Durch die Konzession von 1660 wurde ihnen zugestanden, daB sie keiner anderen Judenschaft innerhalb und auBerhalb der Pfalz unterworfen sein sollten. So bildete die Mannheimer Judenschaft bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts eine gesonderte Korperschaft, die mit der iibrigen kurpfilzischen Judeno schaft keinerlei Beriihrungspunkte hatte. Die Konzession raiumte der Gemeinde ferner das Recht ein, ihren eigenen Rabbi, Vorsanger und Schulmeister halten, eine Synagoge bauen und einen Begribnisplatz anlegen zu diirfen. Der Friedhof, fiber dessen Erwerbung schon lange Verhandlungen schwebten, wurde bereits 1661 seinem Zwecke uber, geben. Er lag in einem Bollwerk (heute F 7) und bildete bis 1839 die Begrabnisstatte der Mannheimer Juden. Heute ist er das ilteste geschichtliche Wahrzeichen der Stadt. Wo die erste Synagoge stand, liBt sich mit Sicherheit nicht bestimmen; hingegen ist einwandfrei er, wiesen, daB um 1670 eine neue Synagoge an der Stelle erbaut wurde, wo die jet-ige steht. Der erste namentlich bekannte Rabbiner war I s a a c B r i i n (1671-1677). Wihrend seiner Amtstatigkeit (1674) wurde d:e Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kaddischa) ge- grfindet, die heute noch besteht. Andere bedeutende Pers6n- lichkeiten jener Zeit warren der Judendoktor H a y u m J a - c o b, der als Arzt und Bauunternehmer groBes Ansehen ge- noB, sowie der nachmalige kaiserliche Oberhoffaktor Sa - muel Oppenheimer, der vor seiner Uebersiedelung nach Wien abwechselnd in Heidelberg und Mannheim wohnte und dessen zweite Gemahlin, Gentille, geb. Carcassone, Mann- heimerin war. Infolge der Belagerung und Zerst6rung der Stadt durch die Franzosen (1688/89) mu8ten auch die Mannheimer Juden ihre Heimat verlassen und sich vortibergehend ins Exil be- geben. Erst nach 1697, als die Stadt zum dritten Male aufgebaut wurde, konnten auch die jiidischen FlPichtlinge wieder zurfick- kommen. Kurffirst Johann Wilhelm hatte 1698 ihre Konzession dahingehend erweitert, daB ihre Zahl.von 84 auf 150 Familien erh6ht wurde. Obwohl der Kurffirst angeordnet hatte, ,,daB man mit Aufnahme der Juden nicht allzu faul sein soill", wurde diese H6chstzahl nur selten erreicht. Der Wiederaufbau der Stadt wurde mit Eifer betrieben, und die Regierung wachte scharf dariiber, daB jeder neu hinzukommende Jude seiner Baupflicht genfige. Nur in seltenen Fillen, zumeist gegen Er- legung einer Abfindungssumme, konnte Befreiung erwirkt werden. Auch die Synagoge erstand wieder auf ihrer friihe- ren Stelle. Als Rabbiner wirkte damals David UIf (1706 bis 1719), der einer angesehenen Frankfurter Familie ent- stammte. 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 3 Seite 4 Israelitisches Gemeiudeblatt 14. Jalirgang I Nummer 17 Die Zeitverhaltnisse waren dem neuerstandenen Gemeinwesen wenig giinstig. Wahrend des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) drohte der jungen Stadt mehrmels Zerstorung. Das kriegerische Treiben in unmittelbarer Nahe gab aber mehreren Mannheimer unternehmungs- lustigen Juden Gelegenheit, sich durch Heereslieferungen, die sie teils auf eigene Rechnung, teils als Beauftragte der Wiener Hiuser Oppens heimer, Wertheimer und Sinzheim besorgten, Geld und Ansehen zu erwerben. Bei vielen schmolz aber besides schnell zusammen. Die bedeutendsten Geschiftsleute jener Zeit waren Hayum Sinzheim und Lemle Moses Rheinganum. Letzterer hatte 1687 das Niederlassungsrecht erworben und erlangte unter Kurfiirst Johann Wilhelm als Oberhof* und Milizfaktor eine bedeutungsvolle Stellung Die Konzession seines Vorgangers bestatigte Karl Philipp 1717 und erweiterte sie dahingehend, daB 200 Judenfamilien in der Stadt schutzberechtigt werden konnten. Auch das Recht, ein Spital vors nehmlich zur Beherbergung von Bettlern zu errichten, wurde der Judenschaft eingeraumt. Dieses war bereits 1711 in dem Gebiude, das bis vor kurzer Zeit diesem Zwecke diente (E 5), er6ffnet. Schon die Konzession von 1691 enthielt die Zulassung von Juden zur Ausiibung des irztlichen Berufes, ,wann einer dazu qualifiziert und von unserer medicinischen Facultit zu Heidelberg beharend examinirt" worden war. Die in der ersten Hilfte des 18. Jahrhunderts auf ihrem Hohe- punkte stehende Wirtschaftslehre des Merkantilismus begiinstigte die Lage der Mannheimer Juden. Wie in anderen Landern, sah man auch Gemeindevorsitzende seit 1909 Dr. Abraham Staadecker Vorsitzender des Syn..Rats vom 15.Jan. 1909 bis 12.Mai 1910 gestorben 12. Mai 1910 August Oppenheim Vorsitzender des Syn.-Rats v. 29. Juni 1910 b. 14. Mai 1911 gestorben 14. Mai. 1911 Sally Reiss Vorsitzender des Syn.sRats v. 14 Juni 1911 b. 9. Febr. 1914 gestorben 9. Febr. 1914 Max Goldschmidt Vorsitzender des Syn.-Rats v. 26. Febr. 1914 b. 6. Sept. 1923 Ehrenvorsitzender b. z. s. Tode gestorben 31. Mai 1926 Professor Dr. Julius Moses Vorsitzender des Syn.vRats v. 4. Okt. 1923 b. 31. Miirz 1934 und ein fur die damaligen Verhiltnisse staunenswert hohes Vermogen. Als Vertrauensmann des Kurfiirsten erledigte er fur diesen wichtige Geldgeschifte und vertrauliche Missionen Aus Erkenntlichkeit gab ihm der Kurfiirst die Miihlau in Erbpacht, die Lemle Moyses in ein landwirtschaftliches Mustergut umwandelte, das durch einen jiidischen Verwalter und jiidische Arbeiter bebaut wurde. Ein dauerndes An. denken schaffte sich Lemle Moyses, der 1724 kinderlos starb, durch seine schon 1706 bestitigte, aber erst zwei Jahre spiter verwirklichte Klausstiftung, fir die er neben den erforderlichen Gebiuden noch ein Kapital von 100000 fl. zur VerfUigung stellte. Diese Stiftung war vor allem als Stitte jiidischer Forschung und Belehrung gedacht. Als Kurfiirst Karl Philipp (1716-1742) seine Residenz 1720 von Heidelberg nach Mannheim verlegte, diente ihm bis zur Vollendung des Schlosses das heutige Casino (R 1, 1) als In- terimsresidenz. Dieses Haus war von E m a n u e 10 p p e n - h e i m e r, dem Sohne des Wiener Oberhoffaktors, zu dem ausdrticklichen Zwecke orbaut worden, daB der Kurfiirst ,,bei dero zeitlicher Hierherkunft, solange his ein eigenes kurfiirst- liches Haus dahier erbaut sein wuirde, logieren k6nnte." Dr. Max Griinewald Vorsitzender des Syn Rats seit 18. December 1934 in der Pfalz im Handel der Juden, namentlich im Vertrieb der in heimischen Manufakturen hergestellten Erzeugnisse im Auslande und in der Einfuhr der erforderlichen, im Inlande aber knapp vorhandenen Rohstoffe, ein wirtschaftf6rderndes, den Wohlstand des Landes hebens des Unternehmen. Es fiel der Regierung nicht immer leicht, diese Tatigkeit gegeniiber den Ziinften zu unterstiitzen, die auf ihre Gerecht: same pochten. Viele Anordnungen zeugen davon, wie das Beemtentum, in dem Bestreben, jede grundsatzliche Entscheidung zu vermeiden, bald der einen, bald der andern Seite kleine Zugestindnisse machte, um fiir kurze Zeit unbehelligt zu sein. Schon damals bestanden ji.dische Ge- schafte, die besonders im Eisen- und Textilwarenhandel fiihrend waren. Nicht allein der kiirfiirstliche Hof und die verschiedenen Regierungs- stellen bezogen von ihnen einen Teil ihres Bedarfs, sondern auch die Stadtverwaltung lieB sich zu jeder Zeit von jiidischen Kaufleuten be- liefern. Wenn auch der iiberwiegende Teil der Judenschaft dem Handel oblag, so war doch das Handwerk stets unter ihr vertreten, soweit dies durch das Zunftwesen m6glich war. Auch gab es immer einige Lehrer in der Gemeinde, die die jiidische Jugend in deutscher Sprache und Schrift, in der Rechenkunst und anderen gemeinniitzigen Kennt% nissen unterrichteten. DaB fur die religiose Unterweisung in reichlichem MaBe gesorgt war, ist selbstverstandlich. Seite 4 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 14. Jalirgang I Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 5 Der von einem straff gegliederten Beamtentum getragene abso% lutistische Staat wirkte sich indessen auf die Gemeinde als solche in manchem nachteilig aus. Ihre Befugnisse wurden im Laufe der Jahre durch VerwaltungsmaBnahmen eingeengt und ihr urspriingliches Selbst,- bestimmungsrecht erlitt EinbuBen. So nahm die Regierung nach und nach fir sich in Anspruch, die Wahl der Rabbiner und anderer Ge, meindebeamten, sowie die der Vorsteher zu bestatigen und die Vero wendung der Gemeinde, und Stiftungsgelder zu uiberwachen. Im groBen und ganzen behandelten aber die Beamten, besonders die, die fur Judenangelegenheiten zustandig waren, die ihnen zuge, wiesenen Fragen mit Wohlwollea und Verstandnis. Manche waren in der Tat Gonner der Judenschaft. Auch das Verhaltnis zur christlichen Stadtbevolkerung kann zumindest ein ertrigliches genannt werden, wenn es auch an vereinzelten judenfeindlichen Stimmen, Schmiah schriften und Spottgedichten nicht fehlte. Nichtjiidischen Fremden fiel das ungezwungene Wesen der Mannheimer Juden auf, mit dem sie sich in der Stadt bewegten, sowie der Umstand, daB kein besonderes Juden, viertel bestand. Zu Karl Philipps Zeiten wurde zwar (1722) seitens der Regierung erstmals der Plan erwogen, die Juden zunichst diejenigen, kammer entstandenen Zustindigkeitsstreitigkeiten, keinie f6rm- liche Rechtskraft und wurde 1765 durch eine ,,Konzessions- Erliuterung" ersetzt. Diese beseitigte nicht nur alle Vorteile der vorigen, sondern ordnete auch ausdriicklich an, daB die Juden ihre Hauscr an den Haupto und den ihnen benachbarten NebenstraBen innerhalb dreier Jahre verkaufen und alle in einen ihnen anzuweisenden Stadtbezirk iibersiedeln miissen. Der Kurfiirst bestimmte als Judenviertel die heutigen Quadrate F 3-6, G 3-6, H 3-6, J 3-5 und K 3. Die Synagoge und die Lemle Moses'sche Klaus durften an ihrer Stelle bleiben. Der Vollzug dieser Anordnung erfolgte aber sehr allmihlich; sie wurde auch nach einigen Jahren wieder aufgehoben, da sie viele Unzutraig lichkeiten hervorrief. Wenn auch die Masse in ein besonderes Wohnviertel verwiesen worden war, so drang doch der Geist der Zeit und das, was die Um, welt bewegte, zu ihr. Gegen Ende des Jahrhunderts machte sich der EinfluB Mendelssohns und seines Kreises ebenfalls in Mannheim fuihli Stadtrabbiner seit 1880 Dr. Moritz Steckelmacher Rabbiner in Mannheim v. 1. Mai 1880 bis 23. Mai 1920 gestorben 23. Mai 1920 Dr. Isaak Unna Dr. Chaim Lauer Rabbiner in Mannheim Rabbiner in Mannheim vom 1. Jan 1898 bis 1. Sept. 1935 seit 1. Mai 1925 Dr. Gustav Oppenheim Rabbiner in Mannheim v. 1. April 1894 bis 30. Juni 1933 die ihrer Baupflicht gar nicht [oder nicht geniigend nachgekommen waren in besondere Stadtquadrate zu verweisen. Der Stadtrat glaubte aber, daB von der Schaffung einer besonderen Judengasse, die zwar schon oftmals deliberiert, aber "in hiesiger Stadt aus verschiedenen, erheblichen Ursachen niemals ffr ratsam befunden" wurde, abgesehen werden konne. Als namhafte jidische Pers6nlichkeiten jener Zeit sind er- wiihnenswert: der Hof- und Milizfaktor Mi c h a e 1 M a y, der um 1720 auf des Kurfiirsten Veranlassung von Innsbruck nach Mannheim gekommen war. Die von ihm gegriindete Klaus war schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingegangen. Eine von ihm errichtete Brautausstattungs- sowie eine Studienbei- hilfestiftung bestehen noch heute. Zwischen 1720 und 1730 hielt sich auch Joseph S iB Oppenheimer, der nachmalige wilrttembergische ,,Finanzdirektor", als Admodiator des ge- stempelten Papiers in Mannheim auf. Nach dem pfalzischen Hofkalender lebten damals acht jildische Hoffaktoren in der Stadt. Das Rabbineramt bekleidete, nachdem dieses vom Klaus- oberrabbiner H ill e I M i n z mehre.re Jahre interimistisch versehen worden war, von 1726-1751 S am u e 1 He I m a n n. Er trat mit aller Entschiedenheit gegen Auswiichse der Kab- bala auf und gegen den Sabbatianismus, der auch in Mannheim Anhanger gefunden hatte. Die von Kurfiirst Karl Theodor (1742-1799) der Mann- heimer Jiudenschaft erteilte Konzession, fiir deren Bewilligung die Gemeinde eine Rekognition von 15 425 fl. zu listen hatte, enthielt neben einigen Verbesserungen der vorigen Judenord- nung namentlich in geschdiftlicher Hinsicht aber auch die Anordnung, daB kiinftig Juden kein Haus in der HauptstraBe kaufen diirften, sondern daB sie sich nach und nach in die Ge- gend ihrer Synagoge, ihres Spitals und Begribnisses hiuslich begeben sollten. Die Konzession von 1744 erhielt aber, vor- nehmlich wegen der durch sie zwischen Regierung und Hof- bar. Auch die christliche Oberschicht, namentlich das Beamtentum, befaBte sich, dem Zeitalter der Aufklirung entsprechend, mit der Juden, frage und die Schriften von Dohm und anderer Verteidiger der Juden wurden damals in unserer Stadt eifrig gelesen und besprochen. Als im letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts fiber den Rhein her der Ruf Freiheit und Gleichheit erschallte, erhofften die Juden, genau so wie die iiberwiegende Mehrheit der Stadtbevdlkerung, auch fir sich den Anbruch einer besseren Zukunft. Es wire irrig, anzunehmen, daB sich alle Mannheimer Juden in guter Vermogenslage befanden. Die Reichen und Wohlhabenden bil- deten stets eine diinne Oberschfcht. Die iiberwiegende Mehrzahl lebte in recht bescheidenen Verhiltnissen. Ein nicht geringer Teil war arm und auf Almosen angewiesen. Ueber die Lebenslage vieler Familien, namentlich fiber die Wohnungszustande, entwirft der Mannheimer Arzt Dr. Elkan Isak Wolf in seinem 1777 erschienenen Schriftchen ,Von den Krankheiten der Juden" ein recht diisteres Bild. Zur Unterstiitzung der Bediirftigen gab es verschiedene Familienstiftungen, die Brennholz, Lebensmittel fiir Sabbate und Feiertage verteilten oder Kleidungsstiicke beschafften. Der 1727 gegriindete ,Gevatternverein" sorgte fuir die Wochenpflege und die 1732 entstandene ,GroBe Bruderschaft der Krankenverpflegung", die 1774 umgestaltet wurde, gewahrte ihren Mite gliedern freie irztliche Behandlung, Heilmittel sowie Krankengeld und stattete alljihrlich eine Braut aus. Die einfluBreichsten Pers6nlichkeiten der Gemeinde waren zur Zeit Karl Theodors die Hoffaktoren E 1 ia s H a y u m (Bin g) und dessen Sohn M a y e r Elia s, die als Heeres- L:eferanten wahrend des Siebenjahrigen Kriegcs zu groemrn Reichtum gelangten. Die von Elias Hayum in seinem Haiuse G 2, 19/20 errichtete Privatsynagoge, die ,,Stuttgarter Schul", sogenannt, weil ihr Griinder nach Jud StiBens Hinrichtung von Stuttgart nach Mannheim iibergesiedelt war, bestand his gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Als Gemeindevorsteher mach- ten sich um die Jahrhundertwende Abraham Nau en, Wolf May, David Ullmann und Hayum S. Ot- terburg sehr verdient. Bei aller Riicksichtnahme auf das Althergebrachte waren sie doch Neuerungen zugdinglich, wie 14. Jahrgang / Nummer 17 v w , Israelitisches Gemeindeblatt Seite 5 Seite 6 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 sie auch stets daffir eintraten, der Gemeinde und ihren Glie- dern einen freieren und weiteren Lebensraum zu schaffen. Als Rabbiner wirkten in Karl Theodors Tagen D e w e I e (David) H e B (1761-1767), der in eine Ehescheidungsange- legenheit, den sog. Clever-Get, verwickelt war, die die da- malige jiidische Gelehrtenwelt lange Zeit beschaiftigte. Der nichste Rabbiner, Hirschel Le wi n, war von London fiber Halberstadt nach Mannheim gekommen, folgte aber schen nach wenigen Jahren einem Rufe nach Berlin. In humorvoller Weise soil er die Gemeinden seiner Wirksamkeit folgender- maBen gekennzeichnet haben: ,,In London hatte ich Geld und keine Juden, in Mannheim Juden und kein Geld, in Berlin kein Geld und keine Juden." Sein Nachfolger in Mannheim war M i c h a e I S c h e u e r (1778-1809). Er starb in Karlsruhe anlIiBlich einer Notablenversammlung, die die badische Regie- rung dorthin einberufen hatte. Unter der Regierung des letzten pfalzischen Kurfiirsten, Max Joseph (1799-1803), der, wie sein Vorgdnger seit 1778, die Pfalz von Mainchen aus regierte, war unter der Mann- heimer Judenschaft das Streben nach Gleichberechtigung und der Drang nach religibsen Reformen noch stirker als bisher zum Durchbruch gekommen. Auch die Regierung beschiftigte sich damals eingehend mit der Frage ,,der Veredelung der Juden." Aaron Elias Seeligmann aus Leimen, der nachmalige Baron von Eichthal und W o If J a k o b W ii r z - w e i I e r waren die ersten Mannheimer Juden, denen das stadtische Biirgerrecht verliehen wurde. Der erste badische GroBherzog, Karl Friedrich, dem 1803 der grSBte Teil der rechtsrheinischen Pfalz zugefallen war, hatte in seinen Konstitutionsedikten die Juden seines Landes zu erbfreien Staatsbfirgern erklirt, die unter bestimmten Vor- aussetzungen auch Gemeindebfirger werden konnten. 1812 hatten schon 25 Mannheimer Juden (GroBkaufleute und Hand- werker) .das staidtische Biirgerrecht erworben. Mit dem Edikt vom 13. January 1809 fiber ,,die bfirger- und kirchenrechtlichen Verhdiltnisse der badischen Israeliten" hbrte das bisherige Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Mann- heimer Gemeinde auf. Sie wurde ein Glied der biadischen Judenschaft (Landessynagoge), an deren Spitze der GroB- herzogliche Oberrat der Israeliten gesetzt wurde. Die erste Halfte des 19-Jahrhunderts war von dem Bestreben erfiillt, die Gemeinde in diese Rechtslage iiberzufiihren. Mit besonderem Eifer suchte sich die Mannheimer Judenschaft der Kultur der Umr, gebung anzupassen. Schon 1816 griindete Dr. Simon Wolff eine Er% ziehungs, und Lehranstalt, aus der 1821 die jiidische Volksschule wurde. Diese bestand bis zur Auflbsung der konfessionellen Schulen im Jahre 1870. Auch fiir die Heranbildung von Handwerkern und eine Berufs- umschichtung der jiidischen Bevolkerung zeigte man damals groBes Verstandnis. An den Kampfen der badischen Israeliten zur Erlangung der Gleichberechtigung, die 1862 erreicht wurde, nahmen die Manns heimer Juden sehr regen Anteil. Namentlich war es neben Dr. jur. Leopold Ladenburg, der in zwei wirkungsvollen Schriften fiir die Gleichberechtigung eingetreten war, die 1829 begriindete Ressource, Gesellschaft, die sich fiir die Emanzipation und eine Reform des Gottes, dienstes nach dem Vorbilde des Hamburger Tempels einsetzte. Solange jedoch der konservativ gesinnte Hirsch Traub (1824-1849) das Rabbineramt innehatte, konnte die Reformbewegung keine groBen Fortschritte machen. Nach dem Beitritte Badens zum Zollverein, (1835) sowie nach dem Bau der ersten Eisenbahn und der Durchfiihrung der Hafen, anlagen entwickelte sich eine rege Handelstatigkeit in der Stadt, die durch vicle jiidische Kaufleute stark gefordert wurde. Namentlich im Getreide,, Tabakv, Hopfen,, Leder,, Metall, und Holzhandel nahmen jiidische Firmen fiihrende Stellungen ein. Gefardert wurde die Ent, wicklung und spiter das Aufbliihen der Industrie durch die Banks hauser W. H. Ladenburg und Hohenemser. Die GrUnder dieser Hauser nahmen auch am jiidischen Gemeindeleben regen Anteil. W. H. Ladenburg gehbrte lange dem Gemeindevorstande an und war Mitglied des Oberrats. Auch am gesellschaftlichen und politischen Leben der Stadt und an der Pflege der Kiinste und Wissenschaften waren viele jiidische Familien beteiligt. Als 1852 die zu klein gewordene Synagoge durch einen Neubau ersetzt wurde, entfachte die Frage, ob in diesem Gotteshause eine Orgel aufgestellt werden solle, einen erbitterten Kampf, der die Ge, meinde in ihren Grundfesten erschiitterte. Die Mehrheit sprach sich dafiir aus und der Oberrat gestattete 1855 die Einfiihrung. In jenem Jahre wurde die Synagoge, die dritte auf diesem Platze, durch Rabs biner Moses Prager (1855-1861) feierlich eingeweiht. Prager ist auch der Verfasser des Mannheimer Gebetbuchs, das heute noch dem Gottesdienste der Hauptsynagoge zugrunde liegt und dessen Einfiih- rung ebenfalls von erbitterten Kimpfen begleitet war. Den konservativ gerichteten Gemeindemitgliedern steht die Klaussynagoge zur Vers fugung, die 1888 neu erstellt und 1930 vergriiert wurde. Auf Rabs biner Prigers Veranlassung wurde 1859 der Waisenverein gegriindet, der in R 7, 24 sein eigenes Heim besitzt. Seit der Einweihung der Synagoge besteht auch der Synagogenchor, aus dem 1856dem 1856 der Mnner gesangverein ,Liederkranz" hervorging. Er hat sich viele Verdienste um das Mannheimer Musikleben erworben. Nach dem Kriege von 1870/71, an dem auch mehrere Mann? heimer Juden teilnahmen, und nach dem Wiedererstehen des Deutschen Reiches nahm das Wirtschaftsleben einen ungeahnten Aufschwung, der bis 1914 anhielt. In religiiser Hinsicht waren jene Jahre weniger erfreulich. Nach den schweren Kampfen, die die Orgels und Gebetbuchfrage entfacht hatten, trat eine Erschlaffung ein. Wie iiberall in Westeuropa verflachte das jiidische Leben. Ein unrichtig aufgefaBtes Anpassungsstreben an die Umgebung vernichtete jiidische Werte, die unsere Vorfahren in vieljihrigem Schaffen errungen batten. Durch mehrfache Uebertritte vormals fiihrender Familien zum Christentum erlitt die Gesamtheit in, sofern Schaden, als mancher, der mit den Bindungen der Vergangens heit fast vallig gebrochen hatte, durch die gegebenen Beispiele noch wankelmiitiger wurde. Obwohl die Gemeinde musterhaft verwaltet wurde, reiften in dieser Zeit keine Fiihrer heran, die imstande waren, religibses Leben zu entfachen und die Lauen wieder um die alte Fahne zu sammeln. Auch die Predigten des gelehrten Stadtrabbiners Dr. Moritz Steckel: macher, so tief durchdacht und hinreiBend sie waren, iibten nach dieser Richtung hin keine nachhaltige Wirkung aus. Nur auf dem Ge: biete der Woblfahrtspflege und sozialen MaBnahmen, die in der Haupt% sache von Vereinen und der 1896 entstandenen August Lameys Loge getragen wurden, sind erfreuliche Leistungen zu verzeichnen. Diese zeigten sich besonders in der Zeit, als viele aus dem Osten vertriebene Familien hier eine Zufluchtsstatte fanden. Es darf zum Ruhme der Mannheimer Judenschaft gesagt werden, daB sie jederzeit gern und reichlich jiidische Wohltatigkeit iibte, einerlei, ob es sich um Lin, derung der Not in eigenen Reihen oder um auswartige Glaubens, briider handelte. Auch wenn fiir allgemeine Belange Mittel erforder, lich waren, standen jiidische Kreise nie zuriick. Zu Beginn dieses Jahrhunderts, als die nationaljiidische Bes wegung auch in Deutschland allmahlich Boden zu fassen began, fand sich auch hier ein kleiner Kreis, der erkannte, daB zur Erhaltung des Judentums mehr nbtig sei, als die Abwehr des Antisemitismus. Aber diese Erneuerung konnte sich, obwohl sich ihr vor allem Akas demiker und viele Jugendliche anschlossen, nicht leicht durchsetzen. Erst nach Beendigung des furchtbaren Krieges 1914/18, in dem auch 135 Sbhne unserer Gemeinde ihr Leben opferten, trat eine Wendung ein. Sein ungificklicher Ausgang und seine schlimmen Wirkungen sind noch allen, die diese Zeiten mit- erlebten, in Erinnerung. Damals besannen sich die Fiihrer unserer Gemeinde darauf, daB auch die Religionsgemeinde ihren Aufgabenkreis weiterstrecken muB und kann als bisher und daB sie dem wiedererwachten religi6sen Leben gerecht werden mfisse. Es ist das Verdienst der Vorsteher Max Goldschmidt und Dr. Julius Moses, daB sie die Er- fordernisse der Zeit erkanncen, ihnen Rechnung trugen und namentlich den Bestrebungen der Jugend hinsichtlich einer jii- dischen Renaissance Verstandnis und Fbrderung angedeihen lielen. Das 1931 er6ffnete Altersheim zeigt anderseits, daB da- bei die Sorge far die Alten nicht auBer acht blieb. Die fast 300jahrige Geschichte unserer Geme:nde ent- spricht den H6hen und Tiefen des allgemeinen Judenschicksals. Sie zeigt deutlich, daB alle geistigen und sozialen Einrichtun- gen, die die jfidische Gemeinschaft im Laufe der Jahrhunderte schuf, auch in unserer Gemeinde im einzelnen vielleicht von der heutigen Form verschieden vorhanden waren. Wir diir- fen deshalb von einer guten Mannheimer Tradition sprechen, deren Erhaltung wfiinschenswert ist. Sie wird die stirken, die hier bleiben und denjenigen, die die alte Heimat verlassen. den Weg in den neuen Wohuluindern ebnen helfen. Durch d:ese Tradition werden Vorbedingungen zum Wurzelschlagen ge- schaffen, die die Vergangenheit mit der Zukunft verkniipfen Berthold Rosenthal. Seite 6 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang / Nummer 17 14. Jalirgang I Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 7 Bev6olkerungsbewegung und Altersaufbau der Gemeinde Eine genaue Kenntnis von der Zahl der Mannheimer Ju- den erhalten wir erst seit Einfilhrung der allgemeinen Ge- meinde- und Volkszahlungen im Anfang des 19. Jahrhunderts. AufschluB iiber frifihere Zahlen geben uns die stadtischen Ar- chive. Die in ihnen enthaltenen Angaben, fiber die Juden Mann- heims dienten allerdings nicht bevblkerungsstatistischen Ge- sichtspunkten, sondern sind zum Zwecke der Festsetzung von Steuern und Abgaben gemacht worden. Aus diesem Grunde sind keine Einzelpersonen, sondern nur Haushaltungen regi- striert. Wir k6nnen aber die Zahl der Mannheimer Juden im 17. und 18. Jahrhundert ungefaihr errechnen, wenn wir an- nehmen, daB eine Familie damals aus durchschnittlich 5 K6p- fen bestanden hat. Die ersten Angaben stammen aus dem Jahre 1680. Damals waren 78 jiidische Familien, also ca. 400 Juden in Mannheim ansissig. Im Jahre 1722 waren es 128 schutzberechtigte Fa- milien; dazu kamen noch 45 Familien ohne Schutz, zusammen also 173 Haushaltungen mit insgesamt etwa 850 Seelen. Eine Angabe aus dem Jahre 1743 verzeichnet keine wesentliche Veranderung der jiidischen Bevblkerungsziffer, nimlich 178 Fa- milien. Dagegen ist im Jahre 1765 die jiidische BevSlkerung auf 249 Familien *angewachsen, und ffir das Jahr 1800 geben die Archive an, daB in Mannheim 181 Minner, 220 Frauen und Witwen und 539 Kinder, dazu Bedienstete und Angestellte, insgesamt also iiber 1 000 jiidische Personen ansissig waren. (Rosenthal.) Exakte Zahlen sind seit dem Jihre 1825 vorhanden. Da- mals waren in Mannheim 1456 Juden wohnhaft. Seit dieser Zeit bestehen auch genaue Angaben fiber das Verhiltnis der jiidischen Einwohner zur Gesamtbev6lkerung Mannheims. Es betrug der Anteil der Juden im Jahre 1825 5,7 o/o (1456) 1875 8,3 O/o (3853) 1890 5,8 O/o (4553) 1900 3,9 O/o (5478) 1910 3,3 O/o f642) 1925 2,8 o/o (6972) 1933 2,3 O/o (6402) 1936 1.8 o/o (5000) In dem Jahrhundert von 1825 bis 1925 war neben der anfang- lichen natfirlichen Bev6lkeru'ngsvermehrung ein dauernder Zu- wachs durch Zuwanderung hauptsdichlich aus Nordb'aden und der Pfalz vorhanden. Diese Zunahme war aber weit kleiner als die allgemeine Bevblkerungsentwicklung Mann- heims. Seit 1925 kommt zu dieser Abnahme des prozentualen Anteils auch eine tatsdichliche Abnahme der Zahl der Mann- heimer Juden und zwar von 1925 bis 1933 um 8% und von 1933 bis 1936 um weitere 20%. Die Zahl der in Mannheim, d. Ih. der grUBten Stadt Badens wohnenden Juden betrigt ungefahr ein Drittel der in Baden Jahre _- fiber 70 70- minnlich welblich 60- -- - L rrm =0 .- w- -, 40o Geburten - Todesfille 100 80 - 1920 1923 - -= 1926 1929 1932 1935 Geburten und Sterbefille 1920-1935 ansassigen Juden. Baden gibt also im Kleinen die Bev6lke- rungsverhaltnisse der Juden im Reich wieder, von denen ein Drittel in Berlin wohnhaft sind. Das war nicht immer so. Im Jahre 1825 lebten nur 8% der damals insgesamt 17 600 badi- schen Juden in Mannheim, im Jahre 1875 waren es bereits 15%. Als Ergebnis der seit dieser Zeit fortschreitenden Land- flucht waren im Jahre 1925 von den 24 000 badischen Juden 29% hier ansassig, und bei der letzten Volkszahlung vom 16. Juni 1933 wurden 31% aller badischen Juden in Mannheim festgestellt. Schuld an der fortschreitenden Abnahme der Zahl der Mannheimer Juden sind zwei Faktoren, nimlich A bw a n - derung und Ueberalterung. Die seit 1933 einsetzende Abwanderung betrug bis 1. Juli 1936 ungefahr 1250 Personen. Ueber die Ziele der Auswande- rung wird an anderer Stelle berichtet. Hier sei festgestellt, daB die Abwanderung am starksten die bevilkerungspolitisch wich- tigsten Altersklassen von 20 bis 40 Jahren und am zweitstiirk- sten die Jugendlichen hunter 20 Jahren betrifft, daB sie also dazu verhilft, die ohnehin bedeutende Ueberalterung der Mann- heimer jiidischen Bev6lkerung noch zu verstairken. Die Mannheimer jiidische Bev61kerung weist seit Jahren schon einen Verlust von zur Zeit 12'%; pro Jahr auf und zwar durch das Ueberwiegen der Sterblichkeits- iiber die Geburten- ziffern. Die Geburtenziffern waren in den letzten 5 Jahren: 1931 1932 1933 1934 1935 33 26 12 10 22 Die Sterbefaille im gleichen Zeitabschnitt betrugen: 1931 1932 1933 1934 1935 74 92 81 83 88 Durch diesen Vergleich ist ersichtlich, daB die Mannheimer jiidische Bevolkerung um 60-70 Personen jahrlich durch Uebersterblichkeit abnimmt. Der Altersaufbau der Mannheimer Juden weight wie der der gesamten itidischen Bev6lkerung in Deutschland wesent- lich von der Norm ab. Das Bild der bekannt.en Alterspyramide ist nicht mehr anwendbar. Es fehit den reiferen Jahrgangen die breite tragfahige Basis der Jugendlichen, es fiberwiegen die hoheren Altersklassen. Folgende Abbildung mag dies ver- o10o/ 58/o 6,o 40/o 2%/o 2 ,o 4i1 O O/o 80/0 100/0 Altersaufbau der Mannhelmer jiidischen Bev6lkerung. Zum Vergleich normaler BevS1kerungsaufbau (schraffiert). 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 7 Seite 8 Israelitisches Gemeindeblatt anschaulichen, wobei zum Vergleich die Alterspyramide einer stationiiren Bev6lkerung mit aufgeffihrt ist, um die starke Ab- weichung von der Norm herauszuheben. Der Altersaufbau ergibt sich aus nachstehender Tabelle, die die Mannheimer jiidische Bev6lkerung hinsichtlich Ge- schlecht, Alter und Familienstand zahlenmaBig wiedergibt: Alter ledig verheiratet verwitwet geschieden zusammen (Jahre) mannl. weibl. manni. weibl. minnl. weibl. mannl, weibl. mannl, welbl. 0- 5 101 80 - 5-10 182 173 -501 448 10-15 218 195 - 15-20 130 135 140 135 20-25 260 201 9 260 210 25-30 296 181 24 81 5 320 267 30-35 208 111 84 161 6 1 6 293 284 35-40 125 65 126 211 8 2 11 253 295 40-45 49 54 149 188 1 6 6 10 205 258 45-50 47 38 200 197 5 25 4 6 256 2C6 50-55 43 40 232 163 6 54 4 7 285 264 55-60 32 35 224 169 15 80 2 5 273 289 60-65 19 20 142 95 15 70 2 3 178 188 65-70 18 12 103 51 15 73 1 2 137 138 lber 70 10 15 102 21 47 169 2 159 207 zusam 11748 1355 11386 1346 104 491 22 57 Folgende Ergebnisse k6nnen dieser Tabelle entnommen werden: 1. Es gibit mehr ledige als verheiratete Juden in Mannheim, und zwar sind fiber die Hailfte der minnlichen und fiber zwei Ffinftel der weiblichen jildisohen Einwohner Mann- heims lediig. 2. In der Altersstufe von 25--30 Jahren sind bei den Minnern nur 7,5%, bei der Altersstufe von 30-35 Jahren nur 29% verheiratet. Die 35-40j]ihrigen Minner sind noch zur Hilfte unverheiratet. 3. Es gibt im Alter von 40-60 Jahren fast so viele Per- sonen als zwischen 20-40 Jahren. Es sind mehr Personen fiber 60 Jahren vorhanden als Jugendliche bis 15 Jahre. Die Zahl der fiber 70jihrigen ist mehr als doppelt so groB als die der Kleinkinder bis zu 5 Jahren. Dr. Siegfried Bruchsaler. 3260 3249 Aufgaben und Einrichtungen der Gemeinde Die Verwaltung der Gemeinde Unsere Gemeinde wird verwaltet durch den Synagogenrat, der in direkter, geheimer Wahl durch alle stimmberechtigten Mitglieder der Gemeinde auf die Dauer von sechs Jahren ge- wihlt wird. Er besteht aus 11 Mitgliedern. Diese wihlen aus ihrer Mitte den Vorsteher und zwei stellvertretende Vorsteher. Der Synagogenrat faBt seine Beschltisse mit einfacher Mehr- heit der Erschienenen, wobei aber zur BeschluBfahigkeit zwei Drittel seiner Mitglieder anwesend sein mitssen. Bei Stim- mengleichheit entscheidet die Stimme des Vorstehers. Im Rechnungsjahr 1935 fanden 25 Sitzungen des Synagogenrats statt. Neben dem Synagogenrat steht als Organ der Gemeinde die Gemeindevertretung. Sie besteht aus den Mitgliedern des Synagogenrats und den Gemeindevertretern, deren Zahl viermal so groB ist wie die Zahl der Mitglieder des Synagogenrats. Auch die Gemeinde- vertreter werden in direkter, geheimer Wahl durch alle stimm- berechtigten Mitglieder der Gemeinde auf sechs Jahre ge- wiihlt. Der Gemeindevertretung sind die Beschliisse des Synagogenrats fiir die im Gesetz vorgesehenen FLille zur Ge- nehmigung vorzulegen. Zur Unterstfitzung des Synagogenrats besteht eine Anzahl von A u s s c h ii s s e n, deren Mitglieder je hilftig vom Syn- agogenrat und der Gemeindevertretung gewihlt werden. Es bestehen .Ausschfisse ffir: das Altersheim Erziehungsfragen Finanzwesen Friedhofangelegenheiten Gehaltsfragen Gemeindebibliothek Gemeindeblatt Gemeindegebdiude Krankenhaus Kultusangelegenheiten Lehrhaus rituelle Angelegenheiten Wahlvorbereitungen Wohlfahrtsamt * Lemle-Moses-Claus-Stiftung die Darlehenskasse Schulgeldangelegenheiten. Ffir die A u s g a b e n der Gemeinde und deren Deckungs- mittel stellt der Synagogenrat jdihrlich einen V o r a n s c h 1 a g auf, der der Genehmigung der Gemeindevertretung, des Ober- rats und der Staatsbehorde bedarf. In dem Voranschlag ffir das Steuerjahr 1935 (1. April 1935 bis 31. Miirz 1936) sind ein- schlieBlich der Bediirfnisse fiir die Synagoge und die Re- ligionsschule der Lemle-Moses-Claus-Stiftung, neben anderen Ausgaben die Kosten enthalten ffir: 3 Rabbiner 5 Lehrer bzw. Kantoren 1 Dirigenten und Organisten 1 Synagogenwart und Begraibnisordner 2 planmiBige Verwaltungsbeamte 4 Bfiroangestellte und 1 Verwaltungslehrling 1 Diener 2 Synagogen- und Nebengottesdienste 1 rituelles Tauchbad Ruhegehalte und Witwengelder Beitrag fir Jugendorganisationen Beitrag zu wissenschaftlichen und sonstigen Vereinigungen Gemeindeblatt Gemeindebibliothek 14. Jahrgang / Nummer 17 Seite 8 Is r a eli i i s c h e s G e m e i 11 d e bl a -t i VERWALTUNG V EREI NE - -Q Liederkranz n V (Hultur6und) S Reichsbund Jld. ~ Frontsoldaien Bar k'ocA6a RingJudJugend Ha6onm rn Haschomer Hazait SWerk/eute q, .ahkabl Hazalr Hechaluz BCentral- Verein \ I-l RegI\s-Lberae ._ -F R -, Scweste_ ,d i E; rn S fCenran- Verein E / 'eVerein r War'ng o" guentestr.7den. \ .z Chewr iLuadisca I X \ 'srael. Fraven ver. e \ \ -\ ungs- Vereine - V ze/5evereuin r. I S / " o, M nazzenhar.sse lb e Brenn material hFrauenbund T 1fra.ue nvetreinig. v, er/eoe/n er a /o Biddenaus .a' n N- Ch 0// S Wais-en verein Cb >5 J c z o? s < 9 E c= S=) Verein ur4 oo p A ^ S^ n m A -l Wm dereusrge m m > |-s- z B Annt Z / Vereinz.Firderung my 7 2 z '-- 3> _d Handwetrks d - C-) ..< C) m -n z of C- r.= m --I m --4 m ;:a P1 mm m 0 0 3: m- r-- ~ -- co I i- ' -4 - / o== / -1 -4J Seite 10 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jalirgang / Nummer 17 Lehrhaus Anlernwerkstatte Verzinsung und Tilgung der Anleihen. Zuschiisse an: das Krankenhaus das Schwesternheim die Friedhofkasse das Wohlfahrtsamt. Die Gesamtausgaben betragen nach Abzug der Einnahmen 323910 RM, die durch die Ortskirchensteuer gedeckt werden. Filr das Rechnungsjahr 1936 kommen noch die Ausgaben ffir den Erganzungsunterricht in den jiidischen Volksschul- klassen und fUr den Unterricht in der 9. Aufbauklasse hinzu. Die mit Hilfe der Zentralstelle flir jiidische Darlehenskas- sen im Jahre 1933 bei der Gemeinde errichtete D a r I e h en s - k asse, die gegen entsprechende Sicherheiten Darlehen ffir productive Zwecke an Gemeindemitglieder gewahrt, hatte am 1. April 1935 einen Darlehensbestand von 11 507 RM und gab im Laufe des Rechnungsjahres 1935 weitere Darlehen mit zu- sammen 13 396 RM. Der Oberrat der Israeliten iibt die A u f s i c h t fiber die Gemeinde aus, soweit nicht fuir wenige Falle durch staatliches Gesetz die Staatsaufsicht vor- geschriebeni ist. Er ist auch die Beschwerdeinstanz ffir die Be- teiligten gegen alle Beschlfisse der Gemeindeorgane. Seine Zu- stimmung ist erforderlich zu den Beschlfisseni der Gemeinde fiir die wichtigen Falle, die in den Satzungen der Landes- synagoge festgelegt sind. Der Oberrat ist fur die Gemeinde auch die Verbindunzsbehorde fur den Verkehr mit den zen- tralen Staats- 'und Reichsbehbrden, und teilweise mit der Reichsvertretung der Juden. Unsere Abteilungen ffir Wohl- fahrtspflege, fur Hilfe und Aufbau, fair Berufsumschichtung und ffir Wirtschaftshilfe stehen in unmittelbarer Beziehung zur Reichsvertretung. Aus einem solchen knappen Ueberblick kann der Ein- druck eines schematischen Verwaltungsapparates entstehen. der sich selbst genug ist. In. Wirklichkeit dient er einer viel- gestaltigen Arbeit, die sich nicht in Zahlen und Ordnungs- ziffern ausdrifcken liiBt und gehorcht lebendigen Antrieben, die der komplizierten und immer schwieriger sich gestaltenden Wirklichkeit gerecht zu werden versuchen. Otto Simon. Die Stellung des Rabbiners in der Gemeinde1) Haben die letzten Jahre das Gesicht unserer Gemeinde ganz wesentlich verfindert, starker noch macht sich der Wandel der Zeit beim Rabbiner, seinen Aufgaben und seiner Stellung in der Gemeinde bemerkbar. Wie weit ist doch der Weg vom alten Raw, der als Richter und Lehrer sein Amt versah, fiber den ,,Kauscherwachter" der jiidischen Aufkldi- rungszeit und den am christlichen Theologen orientierten jii- dischen Geistlichen bis zum Rabbiner unserer Tage, wieviel Hoffnung auf Anpassung und Angleichung, Glaube an das Ende alten Judenschicksals wirkte da bestimmend mit und er- wies sich als ,,trfiigerische Hoffnung"? Der Rabbiner steht heute mitten im Gemeindeleben. Ein- mal wohl weil man alles Leid, das einem widerfahren ist, als jfildisches Leid empfindet, d'e vielen Fragen, die sich einem aufdraingen, und ffir die man, keine Lbsung weiB, als jildische 1) Die halachischen Aufgaben des Rabbiners sind hier nicht be,- riicksichtigt. Frage einem be.wuBt wird, und man in dem Rabbiner d e n jildischen Menschen sucht oft eine schwere Belastungs- probe ffir den Trager dieses Amtes zum andern, well keiner heute Zeit fur seine Mitmenschen hat, jeder mit seinen N6ten vollauf beschaftigt ist, und man einen Menschen sucht, der sich nicht versagt, der bereit ist zum H6ren, und das ist so selten geworden, daB es haufig von Menschen schon verwechselt wird mit Helfen. So gibt es kein Gebiet des Lebens mehr, auf dem nicht der Rabbiner beratend oder entscheidend zum Ein- greifen veranlaBt wird. Handle es sich um Berufs- wahl, um Wirtschaftsberatung oder Schiedsgerichte, um rein menschliche Dinge oder um Fragen, die an das Gebiet des Nervenarztes grenzen. Es versteht sich von selbst, dem Rabbiner fehlen sehr haufig die notwendigen wissensmaBigen Voraussetzungen, er muB also in standiger Fiihlung mit den Leitern der Wohlfahrtsarbeit, Wirtschaftsberatern, Juristen und Aerzten sein. Bei einer so weitreichenden Ausdehnung der Arbeitsgebiete wird natfirlich der Rabbiner als Prediger und Kasualredner mehr in den Hintergrund treten. Aber das bleibt gar nicht allein eine Frage des Zeitmangels, sondern der ge- wichtigeren Frage nach dern Sinn der predigthaften Rede. Die Zeiten, da der Rabbiner als Prediger den letzten meist h6chst notdfirftigen Zusammenhalt zwischen jiidischen Menschen und jiidischer Gemeinschaft herstellte, sind vorbei. Das alte Ju- denschicksal, das wieder fiber uns gekommen ist, hat da mehr vermocht als die besten Kanzelredner. Und das Reden des Rabbiners ist heute nur noch insoweit sinnvoll als es zum Lernen bereit macht oder schon wieder Lernen ist. Freilich verspfiren wir gerade hier die Schwere der Riickkehr und wie problematisch das Lernen von entwurzelten und versorgten Menschen ist. Trotzdem verliert die Forderung nach Lern- vortragen und Schrifterklarungen an Stelle von Predigten nicht an Bedeutung, und sie wird wohl am ehesten verstanden werden und milBfte eigentlich gestiitzt werden durch junge Menschen. Damit beriihren wir aber das problematischste Ar- beitsgebiet des Rabbiners: die Jugendarbeit. Man hat das Schlagwort des Jugendrabbiners zu einer Zeit gepragt, da das Fiasko in der Jugendarbeit schon deutlich ffir den, der sehen wollte, zu erkennen war. Schuld daran tragt nicht nur die areligiSse Haltung der Mehrheit unserer Jugend, bestimmt wird die h6chst diirftige Beziehung von Rabbiner und Jugend durch die Tatsache, daB alles menschliche Miihen und Wirken nicht mehr von Mensch zu Mensch geht, sondern eine An- gelegenheit von Kollektiven geworden ist, und die Biinde eine kollektivisitische Gemeinsichaft darstellen, die mit der Ge- meinde, deren Vertreter der Rabbiner bis heute geblieben ist, sehr wenig gemein hat. Eine Annaherung ist nicht m6glich durch jugendliches Sichgebarden des Rabbiners, sondern allein auf der Ebene gemeinsamen Lernens, wozu .die jiidische Schule neue Mbglichkeiten bieten k6nnte. Freilich diirfte der Rabbiner dann fiber den vielen Aufgaben, die ihm gestellt werden, die wichtigste Forderung, die auch heute n'och fiir ihn gilt, nicht vergessen: Das Lernen. Nur aus dem Lernen kann ihm jene Sicherheit und Autoritdit werden, die, er ffir die standige menschliche Inanspruchnahme bedarf, nur durch intensive Sichversenken ;n vergangene Zeiten unserer Geschichte, die Geduld zum glaubigen Warten in der Wirrn's unseres Juden- lebens; und nur so kann er auf die Dauer seiner wichtigsten und schwierigsten Aufgabe gerecht werden: Lehrer zu sein. Die Stellung des Rabbiners in der Gemeinde ist wieder so umfassend geworden, daB man versucht ware, von dem Wiedererwachen einer neuen jiidischen Einheit, die keinen Le- bensbezirk auBer acht liBt, alles und alle umfaBt, zu sprechen. Wir dfiirfen uns nicht tiuschen. Auch hier wie bei so vielem - haben wir es nicht mit einer wirklichen Umkehr, sondern mit einer menschlichen Not und Auswegslosigkeit zu tun. Es l'egt nicht nur an dem Rabbiner, aber doch gerade bei den Gemeinden in Deutschland recht entscheidend bei ihm, ob aus Not wirkliche Gemeinschaft werde, aus einer Flucht in die jiidische Geme.inde e'n Neuaufbau alter jildischer Werte. Dr. Robert R. Geis. 14. Jahrgang / Nummer 17 Seite 10 Israelitisches Gemeindeblatt 147Israelitisches Gemeindbt1 .JViIX 11 Die Hauptsynagoge Im Zentrum der Stadt, im Quadrat F 2, steht die Haupt- synagoge. Sie fiihrt diesen Namen, weil sie ffir den Hauptteil der Gemeindemitglieder als Betst5tte bestimmt ist, und umrn sie von der Klaussynagoge in F 1 zu unterscheiden. Allerdings bedeuten die zwei Synagogen nicht etwa zwei getrennte Ge- meinden in Mannheim, sondern kennzeichnen nur die beiden Richtungen, die liberal-religitse und die gesetzestreue, die sich, wie in vielen anderen Gemeinden, auch in Mannheim her- ausgebildet haben. Dank der Einsicht und MdBigung der ftih- renden Persbnlichkeiten auf beiden Seiten ist es hier niemals, wie z. B. in Karlsruhe, Mainz, Frankfurt a. M., zu einer vbl- ligen Spaltung in zwei auch verwaltungsmiiBig gesonderte Ge- meinden gekommen. Die Hauptsynagoge, die vor achtzig Jahren erstellt wor- den, zeigt den Baustil, wie er sich far den Synagogenbau im westlichen Europa damals entwickelt hatte. AeuBerlich und innerlich ein prdichtiger Bau, verrit er den Wohlstand, dessen sich damals die Gemeinde erfreute. Die Schbnheit der Fassade wird leider dadurch beeintrachtigt, daB das Gebdude nicht frei liegt, sondern auf beiden Seiten von Wohnhiusern eingeschlos- sen wird. Es fehit der Almemor, dessen Aufstellung in der Mitte des Gotteshauses fir conservative Gemeinden als reli- gi6ses Gebot gilt. Der Tisch ffir die Vorlesungen aus der Hei- ligen Schrift ist wie das Vorbeterpult auf einer Estrade hinter der Heiligen Lade, dem Schrank fir die Thorarollen, ange- bracht. Die Platze ffir Manner und Frauen sind wie herkimm- lich getrennt. Ffir die Gestaltung des sabbatlichen und festtdglichen Got- tesdienstes besteht eine alte gesangliche Tradition, der Vor- beter und Chor in gleicher Weise dienten; es wurde ein aus Minnern und Frauen zusammengesetzter Chor eingeffihrt, and als Begleitung zum Gesang das Orgelspiel zugelassen. Orgel Blick vom Seitenschiff der Hauptsynagoge Photo Arbeitsgemeinschaft und gemischter Chor waren vor Jahrzehnten die heftig um- strittenen synagogalen Neuerungeni, die vielfach zu einer Tren- nung in den Gemeinden gefitihrt haben. Viel weniger hat das neu eingefihrte ,,Mannheimer Gebet- buch" das lag auch in der Absicht seiner Verfasser Ge- genstand der Anfechtung werden kbnnen. Unterscheidet es sich doch nicht wesentlich vom gewohnten R6delheimer Sid- dur. Vor allem sind nicht wie in vielen anderen neueren Ge- betbichern die Bitten um Ritlckkehr nach Zion und die Er- innerungsgebete des Opferdienstes eliminiert worden. Die ganze Reform des Mannheimer Gebetbuchs blieb auf wenige Aenderungen und Kfirzungen von -nicht prinzipieller Art be- schrinkt. Anderseits sind in Riicksicht auf die des Hebrdischen Unkundigen eine Anzahl deutscher Gebete neu aufgenommen worden, so Gebete zu Beginn und Ende des Gottesdienstes an Sabbat und Feiertagen, vor und nach der Thoravorlesung, far Familienereignisse, Gebete, die jetzt mehr und mehr wieder zurticktreten vor dem hebriischen Text. Das neue Gebetbuch soil auch fiir den Gottesdienst der Wallfahrtsfeste dienen and das Machsor entbehrlich machen. Da entschlo8 man sich, die Piutimrn, die bekanntlich sprachlich und sachlich nicht leicht verstdindlich sind, bis auf kleine Reste wegzulassen. Die-Hoschanothgebete far Sukkoth und eine kleine Anzahl Kinoth ffir den neunten Av haben in unserer Tefilla ihren Platz behauptet. Fiir Neuiahr und Versihnungstag ist dagegen das Machsor beibehalten worden. -.An der ilberlieferten Art der Vorlesung aus der Thora ist i nichts geindert worden. Man hat sowohl den einjiihrigen 1 Zyklus als auch den ,,Trop" fir die Thoravorlesung beibehal- ten, wdhrend andere liberalen G6meinden die Verteilung der Wochenabschnitte auf einen dreijihrigen Zeitraum einfilhrten und die iberkommene Kantilene fir die Rezitation aus der ........ Thora abschafften. Fiir die Haftara ist auch in unseW Synagoge Inneres der Hauptsynagoge Photo Arbeitsgemeinschaft die Uebersetzung in die deutsche Sprache vorgesehen. 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitischen C~emeindohla)~ C?^'i- - Seite 12 lsraelitisches Gemeindeblatt 14. Jalirgang I Nunimer 17 Die Barmizwahfeier in der Synagoge wurde viele Jahre lang wenig eindrucksvoll vorgenommen. Die Knaben wurden wohl vom Kantor vorbereitet, hatten aber im Gottesdienst lediglich die fir den Aufgerufenen vorgeschriebenen Segens- sprfiche zu rezitieren. Begreiflich, daB eine eindrucksvollere Ausgestaltung der Feier gewfinscht wurde. Zur Vorbereitung durch den Chason kam noch eine solche durch den Rabbiner; die Knaben erlernen und sagen wieder eine Parascha, und die Barmizwahfeier wird von Chorgesang, von Gebet und An- sprache durch den Rabbiner umrahmt. Eine Bibel wird den Knaben als Geschenk der Gemeinde fiberreicht. Wenig Anklang und Eingang hat in unserer Synagoge die Einffihrung der Madcheneinsegnung gefunden, wie sie firs Wo- chenfest vorgesehen war. Sie hat sich nicht durch- gesetzt. Eine Wandlung hat sich auch in der Ausgestal- tung des Jugendgottesdienstes vollzogen. Solange unsere Kin- der am Sabbatmorgen die offentlichen Schulen besuchten, muBte das Sabbatminchagebet zum Jugendgottesdienst ausge- staltet werden. Anfinglich wurde von der Jugend nur der Ge- meindegesang fibernommen, im letzten Jahrzehnt aber auch der Vorbeterdienst von befihigten und dazu vorbereiteten Knaben ausgeiibt. Die Veranderungen der letzten Jahre haben auch die Verlegung des Jugendgottesdienstes auf den Sabbat- morgen erm6glicht. Auch an Neujahr und Versohnungstag fin- det seit Jahren auBerhalb der Synagoge ein besonderer Ju- gendgottesdienst statt, an dem gleichfalls ein Teil der Funk- tionen von ilteren Knaben versehen wird. Von jeher war auch ffir den Jugendgottesdienst eine Ansprache durch den Rab- biner vorgesehen. Der Besuch der Hauptsynagoge seitens der Gemeindemit- glieder war durchschnittlich befriedigend. Auch der Werktags- gottesdienst wird regelmaBig abgehalten. Oft relcht der groBe Raum des Gotteshauses ffir die gedringte Zahl der Besucher nicht aus. Auch die Nebengottesdienste an Rosch-Haschono und Jom Kippur weisen Jahr fiir Jahr einen starken Besuch auf. Die deutsche Judenheit durchlebt heute eine Krise in einem AusmaBe, wie es wohl niemand erwartet hat. Es ist heute leicht, den Stab zu brechen fiber manche Einrichtung und Anschauung, die eine nun vllig fiberwundene Epoche uns gebracht hat, aber die Gerechtigkeit gebietet, die best Absicht und den guten Wil- len der fiihrenden Minner jener Tage anzuerkennen. Es ist nicht unsere Absicht, das was friihere Geschlechter bewegte und die religiosen Ausdrucksformefi, die sie schufen, abzuwer- ten. Das Wiedererwachen der hebraischen Sprache aber und die starkere Besinnung auf das spezifisch jiidische Eigentum, haben von neuem eine Entwicklung eingeleitet, die noch im Zuge ist. Dr. Gustav Oppenheim. Die Klaus und ihre Rabbiner Gerne komme ich dem Wunsche der Redaktion unseres Gemeindeblattes nach, einen kurzen Riickblick auf die Ge- schichte unserer Klaus und ihrer Rabbiner zu geben, wobei mir u. a. folgende Geschichtswerke wertvolle Dienste leiste- ten: L. L6wenste.in, Geschichte der Juden in der Kurpfalz, Frankfurt a. M. 1895; A. Lewin, Geschichte der badischen Juden, Karlsruhe 1909; J. Unna, Die Lemle-Moses-Klaus-Stif- tung in Mannheim, Frankfurt a. M. 1908/9; B. Rosenthal, Hei- matgeschichte der badischen Juden, Biihl (Baden), 1927 und L. Gller, Lemle Moses, Kurpfalzer Jahrbuch, Heidelberg, 1927, S. 103 ff. R. Lemle Moses, der Stifter unserer Klaus, wurde etwa im Jahre 1666 in dem Dorfe Rheing6nheim (Pfalz) geboren. Seine Eltern lebten in sehr armen Verhaltnissen und batten neun Kinder zu ernahren. Etwa 1680 kam Lemle Moses nach Mannheim, wo er spater die Tochter des Mayer Hess, From- met, heiratete. Um 1687 erwarb er hier das Schutzjudenrecht. Sein Schwiegervater scheint sehr begiitert gewesen zu sein. Lemle Moses gewann bald durch seine Redlichkeit und seine Klugheit das Vertrauen des Kurfiirsten Johann Wilhelm, von dem er mit dem Titel eines Hof- und Obermilizfaktors aus- gezeichnet wurde. In dieser Eigenschaft trat er mit dem be- kannten kaiserlichen Obermilizfaktor Oppenheim in Wien in Geschiftsverbindung. Lemle Moses war der ,,Schtadtlan" (Fiirsprecher) in wahrem Sinne des Wortes, der mit seiner ganzen Pers6nlichkeit fiir seine bedringten Glaubensbriider eintrat. Sein groBes Verm6gen stellte er in den Dienst der Wohltatigkeit und der F6rderung von religi6sen Einrichtun- gen. Seine Ehe war kinderlos. Die Kunde von ihm und seinem Reichtum ware sicherlich schon langst verklungen, hatte er sich nicht durch seine Stiftung ein ewiges, unvergingliches Denkmal gesetzt. Wie keiner vor ihm hat er es verstanden, durch seine edle Tat seinen Namen fiir alle Zeiten in unserer Gemeinde lebendig zu erhalten. Inneres der Klaussynagoge Photo Arbeitsgemeinschaft Seite 12 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahtgang / Nummer 17 14. ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ CA+ JarIn I umr1 saltshsGmidbatQpf~ Iin Jahre 1706 erhielt Lemle Moses vom Kurfiirsten die Konzession zur Errichtung einer Klaus, d. h. eines Lehrhauses zur Pflege des Thorastudiums. Zwei Jahre spater (1708) war- den die Klaus und die daran gebaute Synagoge von dem da- maligen Gemeinderabbiner R. David Ulf, von Rabbiner Mathisiahu Ahrweiler und Rabbiner Leser aus Kanitz u. a. eingeweiht. Im Jahre 1717 wurden der Klaus durch eine erneute Konzession von dem Kurfiirsten Carl Philipp beson- dere Rechte verliehen. Die Anstellungsbedingungen fair die Dozenten und die Studienordnung in der Klaus wurden vomn Stifter selbst aufs genaueste testamentarisch festgelegt. Zehn Rabbiner, von denen einer das Amt eines Oberrabbiners zu versehen hatte -, die ununterbrochen sich dem Thora- studium widmen sollten, wurden angestellt. Lernen und Leh- ren, das waren ihre Aufgaben. Spiter erweiterte Lemle Moses seinen Plan, indem er den Wirkungskreis seiner Klaus auch auf den schulmdBigen Unterricht der Jugend erstreckte. Drei Lehrer (Prfizeptoren) wurden angestellt, die die Kinder in die Elementargegenstilnde, wie Hebraisch-Lesen und Penta- teuch, einffihren sollten. Der Stifter verstand es vorziiglich Persanlichkeiten, Gelehrte von Ruf fiir sein BethohasMidrasch zu gewinnen, wie den bereits erwbhnten Rabb. Leser aus Kan it z, R. Menachem Menle On i, Verfasser des agadischen Werkes ,,Zinzeneth hasMan", R. Mathisjahu A h r w e i 1 e r, der spiter als Landrabbiner nach Heidelberg berufen wurde, u. a. m. Im Jahre 1710 wurde R. Hillel Miinz-Katzenellenbogen zum Klaus,- rabbiner berufen, der friiher Rabbiner in Leipnik war. Sein Name war eine groBe Anziehungskraft fiir viele gereiftere Talmudstudierende, so daB die Mannheimer Lemle Moses Klaus bald zu den bedeutendsten ihrer Art zihlte. Neben R. Hillel Miinz wirkte R. Samuel Wolf aus Krakau, der dank der materiellen Unterstiitzung von Lemle Moses den riihmlichst bekannten Mischnahkommentar ,,Kol hasRemas" von Moses Sakutha (Amsterdam 1719) ediert hat. Ferner amtierten damals als Klausrabbiner folgende Minner von Ruf: R. Nathan Neta Wa chenburg, friiher Rabbiner in Hagenau, Verfasser des Kommentars ,,Jair Nethib" zu dem kabbalistischen Werke ,.M6'ore Or", das er im Jahre 1709 in Frankfurt am Main unter dem Titel ,,Meoroth Nathan" veroffentlichte. Ferner: R. Chajim, Herausgeber des Kommentars ,,Zon- Kodaschim" zu einigen Talmudtraktaten der Ordnung Kodaschim, Wandsbek 170, und R. Akiba L e hr en, Schwiegersohn einer Schwester des Lemle Moses, Verfasser des Kommentars ,,Ohel Olam" zum Tal-, mudtraktat Ketuboth, Frankfurt am Main, 1714. Lemle Moses starb am Sabbat, am Neumondstage des Monat Nissan des Jahres 5484 (25. Mirz 1724). Sein Jahrzeits- tag wird heute noch in unserer Klaus durch Thorastudium und Gebet treulich abgehalten, und an jedem Sabbat wird tbeim Gottesdienste in der Klaussynagoge mit einem Gebet seiner gedacht. Nach seinem Tode wurde sein Vermogen von den spi- teren Klausdirektoren schlecht verwalte.t; es entstanden Zank und Streit, Prozesse fiber Prozesse, die Rabbiner Dr. Unna in seiner trefflichen Schrift fiber die Geschichte der Klaus aus- ffihrlich schildert. Wie in allen menschlichen Dingen, hat auch die Klaus Zeiten des Aufschwunges and des Niederganges er- lebt. Sie hat viele Sonnentage gesehen, und ihre Geschichte ist zum groBen Teil die Geschichte unserer. Gemeinde. Im Laufe der zwei Jahrhunderte seit dem Bestehen der Klaus haben gar manche Vorsteher der Gemeinde ihre Liebe und ihre groBe Opferwilligkeit fur die Klaus bekundet. Vor allem brachte diese edle Gesinnung zum Ausdruck der Gemeinde- vorsteher El i a s H a yum im Jahre 1757/58, der zu den grB8ten G6nnern der Klaus gehdrte. Die Klaus war der Stolz der Gemeinde. Ihr ist es auch in erster Reihe zu verdanken, daB Mannheim bis auf den heutigen Tag eine Einheitsgemeinde geblieben ist. Erwathnen wollen wir noch die zu gleicher Zeit mit Lemle *Moses von dem Oberhof- und Milizfaktor M ay gegrfindete Klaus, die nur wenige Jahrzehnte bestand. Michael May hat sich in unserer Gemeinde durch eine wohltatige Stiftung zur Ausstattung armer Braute ein ehrendes Denkmal gesetzt. DaB im Laufe der Jahre die Klaus entsprechend den For- derungen der Zeit verschiedentlich umgeformt wurde, hat ihr die Daseinsberechtigung bis heute erhalten. Alles unterliegt dem Wandel der Zeit. Gar viele Plane wurden zu verschie- denen Zeiten ffir die Klaus geschmiedet. So dachte man einst, sie in ein Lehrerseminar umzuwandeln. Im Jahre 1824 wollte der Oberrat die Mannheimer Klaus zu einer Bildungsanstalt fiir jifdische Theologen ausbauen, wobei die Klausrabbiner als Lehrer an derselben fungieren sollten. Ware dieses Projekt verwirklicht worden, so ware unsere Klaus das alteste Rab- binerseminar Deutschlands. Zeitweise war die Klaus in der Tat die Lehranstalt fiir Rabbiner, und das war m. E. die Glanzzeit unserer Klaus, namlich als sie unter der Leitung des rfihmlichst bekannten Rabbiner Jakob E t t i n g e r (1825 bis 1836) stand. Bis zu seinem Wegzuge nach Altona war die Klaus eine moderne Jeschiwa, die der Mannheimer Lehranstalt das eigentliche Geprage verlieh. Mit der Jeschiwa wurde seit 1818 auch die jildische Volksschule in den Lokalititen der Klausstiftung unterge- bracht. 1870 wurde laut Gesetz die jiidische Volksschule auf- gehoben, und, wie Stadtrabbiner Friedmann s. Zt. dies wohl begriindete: ,,da die Kinder in den Mittelschulen nur Re- ligionsunterricht, aber keinen hebraischen Unterricht erhal- ten", wurde 1872 mit Genehmigung des Oberrates die hebraiische Klaus-Schule gegrtindet. Seit dem Sommer-Semester 1933 beherbergt das Klausgebaude unser Lehrhaus, seit 1935 die Jeschiwa, und seit April dieses Jahres stellt sie ihre Lokalitaten wiederum der neugegrfindeten jiidi- schen Volksschule zur Verffigung, wodurch von neuem die Klaus mit der Gemeinde verbunden ist. Mit Riicksicht auf den begrenzten Raum, der mir hier zur Verfilgung steht, ist es mir nicht miglich, alle Rabbiner, die an der Klaus im Laufe der Jahrhunderte wirkten, aufzuzahlen und ihrer wiirdig zu gedenken. Dennoch kann ich es nicht unterlassen, eifen von ihnen zu erwahnen. Die hervorragend- ste Pers6nlichkeit aller Rabbiner war der bereits erwdihnte Rabbi Jakob Ettl singer, einer der ersten Rabbiner mit akademischer Bildung, Freund des Chacham Bernays und Verfasser beriihmter Talmudkommentare. Zu seinen FiiBen saB hier Samson Rafael Hirsch. Ettlinger hat als Al- tonaer Oberrabbiner die hebriische halachische Zeitschrift ,,Schomer Zion ha ne'eman" herausgegeben, die heute zu den Zierden einer rabbinischen Bibliothek gehort. Rabbiner Ett- linger s. A. war leuchtendes Beispiel fiir meinen verehrten Vorgafnger Herrn Rabb. Dr. Unna, der hier 37 Jahre lang segensreich wirkte, und Rabbiner Ettlinger soll auch leuchten- des Beispiel ffir den Schreiber dieser Zeilen sein. Klaus-Bibliothek In diesem Blatte (1929 Nr. 12) hat mein Schiller und Freund, Rabbiner Viktor U n n a, jetzt in Palistina, einen sehr lesenswerten Artikel fiber die Klaus-Bibliothek geschrieben, den ich hier in extenso mit einigen Erganzungen wiedergebe, wobei ich mich nur auf das beschrdinken m6chte, was in er- ster Reihe den Bibliographen interessieren dfirfte. Ursprfinglich besaB die Klausstiftung nur die zu ihrem Beth-ha-Midrasch geh6rige Bibliothek mit zahlreichen Exem- plaren von Bibel, Mischna und Talmud; auch viele andere hebraiische Werke, die man regelmaBig studierte, waren in der notwendigen Anzahl vertreten. Daneben war auch eine gr6l3ere Anzahl von Werken aus der kabbalistischen Literatur vorhanden, denn auch dieser Zweig des Wissens wurde in manchen Zeitperioden eifrig gepflegt. Bei dem Brand der Klaus in der Nacht zum Vers6hnungstage des Jahres 1794 wurde auch die Bibliothek schwer beschidigt. Gar manche aus jener Zeit heute noch vorhandenen Biicher zeigen Spuren jenes Brandes. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhun- derts wurde auf Veranlassung des verdienstvollen Klausvor- stehers Julius E ttlinger s. A. die Bibliothek reorganisiert. Unter seiner Aegide wurde die wertvolle wissenschaftliche Bibliothek des Klausrabbiners Ha yum Wag ner ffir die Klausstiftung erworben. Spaiter kamen noch andere gr6l3ere Erwerbungen hinzu. Im Laufe der Zeit hat sich manches wertvolle Buch ein- gefunden, und wir wollen hier einige davon beschreiben. Mit Freude sieht der Bibliophile die zahlreichen Erstdrucke, von denen nicht wenige aus der ersten und zweiten H5lfte des 16. Jahrhunderts stammen. Eines der altesten Druckwerke ist ein ,,Rokeach" aus dem Jahre 1505. In den letzten Monaten ist 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt e tieS 13 Seite 14 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang) Nummer 17 es dem Schreiber dieser Zeilen gegliickt, in unserer Bibliothek einen sehr wertvollen Wiegendruck (Inkunabel) zu entdecken, nimlich den ,,Perusch-ha-Thora", Kommentar zum Pentateuch von Levi b. Person (Ralbag, Erfinder der camera obscura), Mantua etwa 1475. 20., Editio prince. Das Buch ist einer der ersten hebraischen Drucke und in solcher Vollstindigkeit von grbBter Seltenheit. Nur drei groBe Bibliotheken Deutschlands sind im gliicklichen Besitz dieses Werkes, die preuBische Staatsbibliothek und die Stadtbibliothekein von Frankfurt und Hamburg. Neben seinem groBen idealen Wert repr5isentiert unser hervorragend sch6nes Exemplar einen hohen materiellen Wert. Erwihnenswert ist ein anderer Erstdruck, nimlich der ,,Tur", Venedig 1522, ferner die MaimonidessBriefe, Venedig 1545. Die Biblio% thek verfiigt iiber eine ansehnliche Zahl von Handschriften. Die meisten der Manuskripte sind auf Papier geschriebene Abschriften von Biichern, die inzwischen durch den Druck verbffentlicht wurden. Sie besitzt aber auch zwei Handschriften, die zweifellos noch vor Erfin, dung der Buchdruckerkunst feitig gestellt wurden. Beides sind auf Pergament geschriebene Exemplare des Raschikommentars zum Penta- teuch, von denen nur am Anfang einige Blatter fehlen. Dieses Raschis Manuskript hat der riihmlichst bekannte Raschiforscher, Prof. Berliner s. A., leider nicht gesehen. Es enthilt soviele iiberaus interessante Va- rianten, die uiber gar viele dunkle Stellen wertvollen AufschluB geben konnten. Eine wissenschaftliche Bearbeitung dieses Manuskriptes ware eine dankbare und lohnende Aufgabe. Unter den Druckwerken ist besonders interessant ein zweiblino diges Machsor, Sulzbach 1709. Es ist in Folioformat vollstandig auf Pergament gedruckt und ausgezeichnet erhalten. Sehr wertvoll ist die Bibel mit den Hohlbuchstaben, Hamburg 1587. Hier sind bei jedem einzelnen Wort nur die Stammbuchstaben in gew6hnlichen Typen ges druckt, die Prai und Suffixe dagegen in Hohlbuchstaben, wahrend fehlende Wurzelbuchstaben in kleineren Typen dariiber gesetzt sind. Angeffigt ist ein Vokabularium besonderer Art (cubus alphabeticus) und eine Grammatik in Tabellenform. Diese seltene Bibel ist auch im Besitze einer hiesigen Privatbibliothek. Noch manches interessante und wertvolle Buch findet sich in der Klausbibliothek, das das Herz eines Bibliophilen erfreut. Aus Mangel an Raum aber, kann ich hier nicht alle Schitze unserer Klausbibliothek anfiihren. Jeschlwa Vor etwa zwei Jahren konnten wir dank der Initiative und GroBziigigkeit eines hiesigen Privatmarmes eine Jeschiwa eroffnen und sie unserer Klaus angliedern. Das Ziel der Je- schiwa ist zweierlei: sie soil eine Schule ffir junge Menschen sein, die mindestens ein Jahr ausschlieBlich dem Studium der Thora widen wollen. Ferner will sie durch Kurse (Schiurim) allen, die Interesse ffir unsere religi6se Literatur haben, das Lernen erm6glichen. Durch die Schaffung der Jeschiwa wird es mit Gottes Hilfe gelingen, den alten Glanz der Thora in un- serer Klaus von neuem erstrahlen zu lassen und ganz im Sinne des Klausstifters Thorastudium zu pflegen und jiidisches Wis- sen unter der Jugend zu verbreiten. Schon in der kurzen Zeit ijires Bestehens hat die Jeschiwa schone Erfolge zu verzeich- nen. Die Schfiler widmen sich fleiB3ig dem Thorastudium, und durch die von auswirts hier Studierenden wird auch unsere hier heranwachsende Jugend zum Lernen, edlem Wirken und Tun angeeifert. In der Jeschiwa wird programmgemiB Bibel, Mischna und Talmud gelehrt. AuBerdem wird zusqtzlich Unterricht in Hebraisch, Englisch und Geschichte erteilt. Im Rahmen der Jeschiwa werden fiir berufstatige Herren ein Talmudkurs und ffr die gereiftere Jugend ein Mischnajoth- und T'nachkurs gegeben. Chewra Kadischa Die Beerdigungsbruderschaft, Chewra Kadischa, in Mann- heim ist der alteste jiidische Verein in Baden. Sie wurde im Jahre 1674 gegriindet. Die in hebraischer Sprache auf Per- gament geschriebene Griindungsurkunde ist vor mehr als 40 Jahren abhanden gekommen und vor etwa einem Jahre wieder aufgefunden worden. Sie enthilt die fiblichen Statuten einer Chewra Kadischa und nennt die Namen ihrer ersten Mit- glieder und den Namen ihres Rabbiners, R. Moses Grothwohl. (Sein Vorgdinger, der die Reihe der Mannheimer Rabbiner er- Offnete, hieB R. Naftali Herz, 1657-1671). Unsere Urkunde ist ein unschitzbares Dokument zur Eruierung der Namen der ersten Mitglieder unserer Gemeinde. Es eriibrigt sich, hier fiber die Aufgaben der Chewra Kadischa zu sprechen. Die Bruderschaft besteht aus 18 standigen ordentlichen Mit- gliedern. Der Chewra Kadischa untersteht die von ihr im Jahre 1780 gegrfindete Israelitische Krankenunterstiitzungskasse B i k k u r C ho i m. Sie verwaltet ferner die im Jahre 1731 von dem damaligen Gemeindevorsteher .M i c h a e I M a y ins Leben gerufene S t if t u ng zur Ausstattung armer Briute. Neben der Mannerchewra besteht hier auch eine Frauen- Chewra-Kadischa, die in aller Stille ihr schweres, edles und wohltatiges Werk in uneigenniitziger Weise ausiibt. Dr. Chaim Lauer. Die Kultgerate Die Alten werden das Alte behfiten So scheint es uns, wenn wir durch das Gotteshaus, am Thoraschrein vorbei, an Leuchtern und an brokatenen Behingen, an silbernem und goldenem Gerat vorfiberwandern. Aus alter Zeit von den Spenden jiingster Jahrzehnte abgesehen stammt der k6st- !.che Schmuck, der von Schabbat zu Schabbat, von Festtag zu Photo Arbeitsgemeinschaft Festtag beniitzt wird, teilweise aber wohlverwahrt wird in Truhen und Schranken. Zu sehr verwahrt, zu verborgen ffir die Gemeinde, die gewil nicht we.iB, was sie an Sch6nem hier besitzt. Zu verborgen ffir die Jugend, die weggeht, ohne noch einmal einen Blick in die Kostbarkeiten ihrer Ahnen geworfen zu haben. Wir wollen den besonderen AnlaB benfitzen, den Alten und den Jungen zu sagen und zu zeigen, was sie besitzen. Das sind die Thoravorhinge. Brokat und Seide, Samt und Stickerei, in allen Farben hingen sie da, Kronen und LUwen, Gerite des Heiligtums, Wappengebilde, Tier- ornamente und Pflanzen- und Blfitengerank, das sich um Siu- len schlingt was die Sitte und Kunst der Zeit wies, wurde Seite 14 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 1.Jhag N m.17sraelitisches Gem e I n d e b I a tt C ;+ auch hier zum Ausdruck gebracht. Vergessen wir die Namen nicht. Alte Geschlechter tauchen auf. Ein Neta Lorsch und seine Frau aus der Familie Wachenheim, der angesehene Chajim Bing und seine Frau, die Tochter des ,,Nadiw w'haschtadlon" Mordechai SchloB, da ist ein Poroches des Jakob b. Simon Ulmo (5516), die Bing, die Maas, die Mai und wie sie alle hieBen im 18. Jahrhundert, erinnern sich ihres Gotteshauses. Der eine stiftet ein Poroches zum ,,Rosch- chodesch-Benschen", das (mit seiner grell-gelben Farbe) noch heute (in der Klaus) den Besuchern sagt: heute wird Rosch Chodesch gebenscht... Der andere will sein Poroches in den ,,drei Wochen", ein anderer das von ihm gestiftete nur am Schabbos aufgehiingt haben. Die Gemeinde Andert nicht gerne die Bestimmung des Stifters und wahrt die alte Tradition. Besondere Merkmale lassen sofort Nam' und Art des Stifters erkennen. Jeder weiB, daB das ,,Lamm' auf einem kistlichen Vorhang inmitten vielen Bliltengerankes, lagernd zwischen zwei Siulen, das Zeichen des Lemle Moses Rheinganum, des Klausgriinders ist. Ganz schwere Thoramdintelchen aus dem Jahre 1708 (5468) tragen seinen Namen, und ebenso ein weiBes Poroches, das in der Klaus zwischen Rosch Haschono und Jom Kippur aufgehingt wird. Der Raum reicht nicht, von den Mintelchen zu sprechen, d!e wir besitzen. Aber an ihnen und auf den Thorarollen hin- gen die kostbarelt Gerite, K'le kodesch, wie wir sie nennen, hohe Kronen, mit ihren Gl6cklein, breite, handgetriebene Gold- schilder, dazu die zierlichen oder wuchtigeren ,,Deuter", deren Handform linen die Bezeichnung ,,Jad" gegeben hat. Auch hier zeigt s!ch die Auffassung der zeitgen6ssischen Kunst. Bald ist es schweres Barock, bald fein ziseliertes Geranke von Sil- ber oder Gold, Spitzengewebe aus Metall mochte man dies oder jenes kleine ,,Tass" nennen. Filigranarbeit, man mochte es imme.r wieder zur Hand nehmen und betrachten. Tut man dies aber, dann sind auch schon wieder die Namen, die Jahres- zahlen vor einem, una Vergangenheit erwacht. Es muB in der Friihzeit der Gemeinde gewesen sein, als hunter den vielen, die sich mit Miih und Not ihr biBchen Leben gestalteten, auch die Begilterteren waren, die sahen, daB in ihrem Gotteshaus noch dies und das fehlte. Sie wuBten um den Sinn des Wortes: ,,Dies ist mein Gott, ich will ihn sc h 8 n verherrlichen!" Und so stiftete ein Gabriel b. Michel Mai, ein Schimschon Otter- berg, ein Seckel Lewi, ein Jakob b. Feiwel Astruck und andere silberne und golden Gerite. Seltsame Gebilde verkniipfen oft den Namen des Spenders mit irgendeinem beziehungs- reichen Wort der Schrift. Wenn der Naftali Hirz und seine Frau Schenle vor 200 Jahren ein kleines zierliches Tass stiften und dazu eine Art Hindin als Medaillon einprdgen lassen, dann wollen sie ihren Namen gewiB in Verbindung bringen mit der ,,aiala schelucha", von der im 1. B. M. 49, 21 beim Segen fur Naftali die Rede ist. . Oft fehlt der Name des Spenders, so auf der Lewiimkanne, die daffir aber den Wappen eines Geschlechtes und die Jahres- zahl 1690 trigt. Und wer mag den Kidduschbecher in die Klaus gegeben haben, der einen ganz fremdartigen Namen sicher nicht den des Stifters und das Jahr 1627 trigt? Eine ganze Geschichtsperiode unserer Gemeinde wird lebendig, wenn wir vor eine.m Kidduschbecher stehen und die Namen der Ettlinger und Hachenburg, der Maas und Fuld, Mainzer und Dinkelsspiel, Darmstaidter und Bensinger lesen. Oft erinnern nur diese Spenden der Ahnen noch daran, daB die Triger einst Kinder des jidischen Volkes waren. . Ein Gerit unserer Gotteshauser ist es nicht, was da in gut verschlossenem Kasten zwischen silbernem Schmuck liegt: eine Gedenkmiinze, die unsere Gemeinde vor bald 70 Jahren prilgen lieB zu Ehren eines GroBen in Israel: das Bild Moses Montefiores und seiner Frau tritt uns entgegen. . Es wire noch viiles zu sagen reichte der Raum von den einzelnen Geriten, ihren Besonderheiten, von der und jener Inschrift, von den alten Wimpeln, den Umschriften an den Thorarollen, den Memorbiichern, dem schonen Schmuck, Photo Arbeitsgemeinschaft mit dem dankbare und mit ihrem Gotteshaus verbundene Menschen bis in die jiingste Zeit hinein zu seiner Versch6ne- rung beigetragen haben. Aber wenn wir auch versuchen, ein wenig in Abbildun- gen zu zeigen, wovon wir sprechen, hier ersetzt das gespro- chene und geschriebene Wort und wire es noch so an- schaulich nicht die wirkliche Schau. Und so scheint uns der Sinn des hier Aufgezeigten erst dann erfiillt zu sein, wenn eines Tages eines baldigen Tages! all das Gerat vor den Beschauern ausgebreitet, sch6n geordnet, deutlich gekenn- zeichnet, sichtbar wird. Wir werden kein ,,Museum" mehr er- richten. Aber wir werden den Versuch machen mUissen, irgend- wo -- und wenn es nur fir kurze Zeit ist einen Raum ein- zurichten, in dem unsere Alten und unsere Jungen, wir alle, noch einmal voriibergehen an all dem, was uns geschenkt wurde in guten Zeiten. Schabbat fur Schabbat, Festtag um Festtag trigt man die Thora beim Ausheben und beim Einheben an uns vorilber. Da seen wir immer wieder von neuem, wie sie geschmiickt ist, wie sie auch iul3erlich geehrt wird. Nicht alle sehen so ihren Schmuck. Sie sind im wahrsten Sinne und in anderem Sinne sehr weit entfernt von ihr. Wir miissen, da sie ja wieder nuiherkommen, ihnen eine Gelegenheit geben, zu seen, was noch unser ist. In den kleinen Gemeinden beginnen sie wohl schon, zu iiberlegen, was geschehen soll mit den K'le kodesch des Gotteshauses. Wir wollen uns ein wenig freuen, daB wir noch die Chance haben, eine grolBe Gemeinde hinzu- fiihren zu den ,,Heiligen Geriten", von denen wir nur Fltich- tiges sagen konnten. Wir glauben, die Gemeinde ist zum Sehen bereit. Karl Darmstuidter. 14. Jahrgang / Nummer-17 Israelitisches S it 1e ? Israelitisches Gemeindeblatt Der Gesang in unseren Synagogen Bei der Entwicklung des Synagogengesanges muB man zwei verschiedene Richtungen unterscheiden. Die eine geht von Paris aus, sammelt die alten Melodien ihres Kreises, schreibt sie auf und sie werden mit beliebigen Varianten ver- breitet. Die andere Richtung, von Berlin ausgehend, IlBt die alten Weisen vor dem Aufschreiben bearbeiten und fiigt die so gewonnenen festen Linien in die Synagogen ein, wie man Steine in einen Bau setzt. Beide Richtungen haben ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil der zweiten Richtung ist fur uns heute hervorstechender, weil wir wissen, wie mit einer fest- gelegten Linie ein Gemeinschaftsgesang gestiitzt und gef6r- dert werden kann. Frfiher war dieser Gesichtspunkt weniger allgemein. In unseren Synagogen waren die Bestrebungen der Berliner Richtung lange Zeit gar nicht bekannt. Die Gesangs- tradition stfitzte sich, soweit man sie zurfickverfolgen kann, auf die Werke des franzbsischen Kantors Naumbourg und manchmal auf den Wiener Meister Sulzer. Besonders die Gesinge Naumbourgs waren in be!den Syn- agogen eingefiihrt. Ein ,,Hodu", ein Hoschanoh-Gesang und ein Maariv-Motiv mit abfallender Quinte findet sich in fast alien alten Biichern. Das Letztere besonders, das ein StUck ,,siid- deutschen Chasonus" darstellen soll, das ist die Eigenart des Gebetsvortrags. Wdihrend die Hauptsynagoge die chasonische Tradition nach und nach vernachldissigt, verlegt man auf der anderen Seite die chasonische Linie auch in den Chorgesang. Kurz nach dem Kriege fingt Theodor Bodenheim, der jetzige Leiter des Klauschores an, nach Vorschliigen von Rab- biner Dr. Unna, die Chorgesdinge zu Uberpriufen und teilweise neue Gestinge zu schaffen, bei denen der musikalische Aus- druck mit den Besonderheiten der gottesdiensflichen Texte auf der Linie der siiddeutschen' Tradition verbunden wird. In der Hauptsynagoge wurde mit der Orgel (die eine Stif- tung eines fur alle Zeiten ungenannt sein wollenden Gemeinde- mitgliedes ist) der geordnete Chorgesang eingefiihrt. Das war im Jahre 1856. Ein gemischter Chor wurde aus freiwilligen Sdingern und Singerinnen gegriindet, die sich verpflichten muBten, bei den Gottesdiensten zu singen.Von der Gemeinde- behorde wurden die Satzungen des Chorvereins aufgestellt, der miglichst keinen Vereinscharakter haben sollte. Aus einer strengen Handhabung dieser Grundlage entsprang kurze Zeit darnach der Wunsch, einen Cesangverein zu grfinden. Die aus dem religiosen Rahmen Strebenden nannten sich bescheiden ,,Synagogenchor-Miinnerquartett". Etwa zwei Jahre spditer, nachdem das ,,Quartett" in Heidelberg ein Programm deut- scher Lieder gesungen hatte, nahm es den Namen ,,Lieder- kranz" an. Das Motiv zu dieser Abzweigung: die Pflege des deut- schen Liedes, wurde auch welter im Synagogenchor propa- giert, bis der Rabbiner Prdiger dieses Verlangen in Bahnen leitete, die ffir den liberalen Gottesdienst in der hier gemiBig- ten Fassung tragbar waren. Neben der textlichen Grundlage war Rabbiner Priiger auch besorgt, die richtige musikalische Grundlage zu fordern. Er versuchte, den damals bedeutend- sten Meister der Synagogenmusik Salomon S u lz e r in Wien fiUr die Bearbeitung der Gesinge zu gewinnen, was ihm aber leider nicht gelang. So wurde denn die musikalische Formu- lierung von den jeweiligen Organisten, nach dem Muster der im evangelischen Gottesdienst benutzten Literatur, ausgefiihrt. Die Gesdinge selbst wurden derart auf den hochliegenden Klangcharakter des gemischten Chores zugeschrieben, damit eine Anteilnahme der Gemeinde am Gesang nicht miglich sein sollte. (Es ist darum heute ein vergebliches Bemfihen, diese Ge-singe zu einem ,,Gemeindegesang" umdichten zu wollen!) Neben dem Organisten leitete der Chorvorstand die organisa- torische Gliederung und fiberwachte auch die AusfUhirung der Gesainge. Der Gedanke des Gemeindegesanges und eine weitere Be- vorzugung einstimmiger und vermehrter hebriiischer Gesainge kam kurz nach dem Krieg auf. Nach einem Vorstandswechsel konnte eine neue Richtung eingeschlagen werden. War man vorher besorgt, die deutschen Gesdinge zu vermehren, going man ninmehr langsam dazu fiber, hebraische Chore auszu- wechseln und zu erneuern. Langsam und stetig nahm die Er- neuerung zu. Sie brachte vor allem die Werke von Emanuel K i r c h n e r, der die vernachlassigte ,,siiddeutsche Gesangs- tradition" der liberalen Synagoge lebendig zu machen ver- stand. Heute sind dieselben lang umkimpften ,,neuen" Ge- sdinge altgewohnte Melodien geworden. Die letzten Jahre haben auch den Rest der deutschen sogenannten ,,Predigtlieder" entfernt und sie durch Hebraische ersetzt, so daB man bei uns von einer giinzlichen Wende im gottesdienstlichen Gesang sprechen kann. Diese Ausffihrungen wiren unvollstdindig, wfirde man nicht den Gesang des M~nnerchores erwihnen, der zu den Feiertagen im Nebengottesdienst singt. Im Jahre 1923 hat sich dieser Chor zusammengeschlossen und erstmals den Versuch unternommen, eine eigene, eng an die Machsor-Gebete sich anschlielende Gesangstradition zu pflegen. Der Versuch ist auch gegliickt und hat gezeigt, daB die Grundlage unserer Gebete immer wieder als die. wertvollste Quelle zur Er- neuerung der Tradition angesprochen werden kann. Hugo Adler. Der alte und der neue Friedhof Nicht viele von uns kennen diese Statte der Weltabge- schiedenheit, diese unwirkliche Insel inmitten des Getriebes der groBen Stadt: den alten Judenfriedhof in F 7. Wer ihn betritt, steht wie verzaubert in einem Reiche, das ihn dieser Welt entruickt. Die schmalen, schlichten Steinplatten warten, oftmals zu Familien aneinandergeschmiegt, wie eine lautlose Gemeinde, fiber die der Wind der Zeiten leise streicht. Die Schwere der Tage zerschellt an dieser steinernen Versammlung. Arm und reich sind nicht unterschieden. Ein tiefes Wort schwebt fiber Stein und Gras und Baum: ewig! Die Miannheimer Judengemeinde muBte lange warten und viele Jahre hindurch Verhandlungen ffihren, bis der sehnliche Wunsch im Jahre 1661 in Erfillung going und es gelang, in einer Bastion der Festung, dem sog. Brfiderbollwerk ein Grundstfick zur Einrichtung eines Friedhofes zu erwerben. Bis 1839, also 178 Jahre, diente der Ort seiner heiligen Be- stimmung. So besitzen wir heute mit dieser Grdiberstiitte nicht nur eines der altesten Denkmale der Stadt Mannheim, sondern auch mit Stolz ein schines und wfirdiges. Beispiel alter jiidischer Friedhofsgestaltung. EhrwUrdige Zeugen jiidischer Grabmal- kunst sind uns hier fiberkommen, als Dokumente der einzigen bildkiinstlerischen Betditigung, in der die Juden zu einiger Entfaltung gekommen s!nd. Die sehr weitgehende Auslegung des zweiten Gebotes: ,,Du sollst Dir kein Bildnis machen..." wirkte sich wie auf dem Gebiete der bildenden Kunst fiber- haupt so auch hier hemmend auf die reichere plastische, vor allem die figurale Entwicklung der Grabmdiler aus. An- dererseits ergab sich aber durch die strenge Bindung der groBe Gewinn einer einheitlichen Harmonie, durch die, wie auf alien alten Judenfriedhofen, so auch bei uns, jene kunstreiche Geschlossenheit und stimmungsvolle Monumentalitit erreicht Wurde, die wir auf neuzeitlichen Friedhdfen so schmerzlich vermissen. Wir sehen auf unserem Bild aus dem alten Mannheimer Friedhof die charakteristisohe Stelenform der aufrechtstehen- den, oben abgebogenen und profilierten Steinplatten, die ihren Schmuck fast nur durch die kraftvoll eingeschnittenen und malerisch angeordneten Zeilen der hebriischen Buchstaben erhalten. Manchmal werden im oberen Teil der Platte knappe Em- bleme angebracht, die oft auf den Beruf des Bestatteten hin- weisen oder aber auf einem Cohen-Grab die beiden segnenden Hdinde zeigen. Auf dem Stein eines Leviten wird hiufig eine Kanne dargestellt, als Hinweis auf den einstigen Dienst Seite 16 14. Jahrgang / Nummer 17 im Tempel. Auch die wappenartige, bildliche Formulie- rung des Namens findet sich; so auf dem Grabmal des Lemle Moses Reinganum in der Darstellung eines Ldmmchens. Sein Grabstein ist tibrigens einer der wenigen reich ausgestatteten und bildhauerisch besonders reizvoll gestalteten Kunstwerke, der von den anderen Steinen des Friedhofs sich abhebt. Am hidufigsten findet sich das seit vielen Jahrhunderten in Gebrauch gekommene Achrostichon n'2,1f2'1. ,,Es sei seine Seele gebunden in den Bund des Lebens" (I. Sam. 25, 29) oder aber die beiden Buchstaben 3"0 als Anfangsbuchstaben der Worte: ,,Hier ruht ." Die Entzifferung und Datierung der alten Inschriften ist oft durch d&e Verwitterung mit Schwierigkeiten verbunden. Das in neuerer Zeit aufgestellte Verzeichnis ist deshalb auch nicht frei von Irrtlimern. ' In ihm werden Sterbedaten gefiihrt, die noch vor dem Jahr der Ertffnung des Friedhofs liegen. Die iltesten identifi- zierbaren Grfiber sind wohl die des Stadt- und Oberlandesrab- ,. biners Isak Brilin aus Worms (gest. 1678) und seiner Frau, geb. Oppenheimer (gest. 1673). .._...... Mittelgang im neuen Friedhof. Photo Arbeitsgemeinschaft Aber bald ist die schine Einheitlichkeit verloren. Jedes Grabmal will in Form und Steinart von seinem Nachbarn sich unterscheiden. Die sozialen Unterschiede der Lebendigen spie- geln sich im Aufbau der Grabstitten wieder, wahrlich nicht zum Vorteil des Gesamteindruckes. Nur vereinzelt finden sich Denkmale, die sich bemuihen, die alte Tradition aufzunehmen und sie in kiinstlerisch fruchtbarer Weise weiterzuentwickeln. Neuer Friedhof, neuere Grabmaler. Photo Atheitsgemeinchlaft Alter Friedhof Photo Arbeitsgemeinschaft Viele Namen alter und heute noch in Mannheim ansassiger Families sind auf den Steinen zu finden, so daB hier die Ge- schlechter bis in das 18., manchmal auch in das 17. Jahrhun- dert hinein verfolgt werden konnen. Hiufig begegnet uns der Familienname Reinganum, deren verdienstvoller Vertreter jener Lemle Moses Reinganum, ge- storben 1724, der Stifter der Klaus war. Viele Trager des Namens Astruck liegen hier, eine lange Ahnenreihe, die heute in Mannheim keinen Nachkommen mehr aufzuweisen hat. Anders ist es mit den Namen, die wir oft lesen konnen: Dinkelspiel, Fuld, Fulda, Wachenheim, Hachenburg, Maas, Bensheim, Nauen, May, Oppenheimer, Sinzheimer, Levy, Lorsch. Auch Vorfahren der Familien Zimmern, Ullmann, Lippmann, Mannheimer, NeugaB, Hajum, Rosenfeld, Ascher, Bodenheim, DreifuB, Rothschild, Gernsheim und vieler anderer liegen hier. Wenn wir die Stille und die zauberhafte Abgeschlossen- heit des alten Friedhofs verlassen und den neuen Friedhof be- treten, so sehen wir, daB in seinem ersten Teil die alte Tra- dition fortgesetzt wird. In den letzten Jahren beginnt sich gliicklicherweise wieder ein Wandel zu vollziehen, so daB wir uns in jfingsten Teil unseres Friedhofs manchmal an die Schanheit des alten Friedhofs erinnert fiihlen diirfen, ohne dabei den Eindruck einer glticklichen Weiterentwicklung vermissen zu miissen. Wit wollen hoffen, daB die Grabmalgestaltung in dieser Art und in diesem Geiste fortgefiihrt wird, damit un- serem Friedhof der stimmungsvolle Zauber gewahrt bleibt und er mit Recht und Wiirde so heiBen darf, wie wir Juden die Staitte unserer Toten zu benennen pflegen: ,,Guter Ort" und ,,Statte des Lebens" und ,,Haus der Ewigkeit". Dr. Herbert Tannenbaum. Sozialarbeit und Gemeinde Es gehirt wohl zu den schwierigsten Fragen gegenwdir- tiger Gemeindearbeit, Aufgaben, die der jiidischen Gemeinde heute gestellt sind, in ein richtiges Verhaltnis zueinander zu bringen, eine Ranganordnung der Aufgaben aufzustellen, die dem Bedfirfnis der Gemeindemitglieder am unmittelbarsten gerecht wird. Gerade der Versuch, den die Leitung der Ge- meinde Mannheim mit dem in diesem Blatt gegebenen Gesamt- fiberblick fiber Leistung und Aufgabe unternimmt, rollt die Frage auf, ob der Aufbau der Gemeinde jene Proportionen hat, die von ihr nach einer Unigestaltung aller Wertbegriffe zu ." I I- I I C;.... C 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 17 Seite 18 ~~~Israelitisches Gemeindeblatt14Jarag Nuer7 fordern sind. Am sinnfUlligsten wird diese Notwendigkeit, wenn wir von den Aufgaben der Lebensbew5ltigung sprechen, bei denen die Sozialarbeit der Gemeinde an er- ster Stelle steht. Die zu fordernde Rangordnung ist um so schwerer zu finden, je mehr einerseits SparmaBnahmen das Regulativ bil- den miissen und je stirker andererseits die Verflechtung aller Gemeindeaufgaben untereinander in Erscheinung tritt. So ist - um dies nur an einigen Beispielen begreiflich zu machen - Jugend und Gefahrdetenffirsorge, ebenso wie die Berufsum- schichtung, nicht mehr ohne die Arbeit der Biinde denkbar. Soll eine Auswanderung nicht planlos vor sich gehen, so muB der sprachliche Vorbereitungsstoff durch Kurse des Lehr- hauses vermittelt werden. Fir einen Teil der schulentlassenen und noch nicht berufsreifen Jugend bildet das 9. Schuljahr Uebergang und Grundlage flir die spitere Vermittlung in einen Beruf. Diese Beispiele lieBen sich beliebig erweitern. Daran schon wird deutlich, wie sehr die Sozialarbeit mit anderen Gebieten gemeindlicher Tdtigkeit verflochen ist, und wie weit sie heute fiber den umgrenzten Begriff der Wohl- fahrtspflege hinaus als sozialpolitische Aufgabe zu sehen ist. Da der Jude der Gegenwart d i e Gemeinschaft sinnfdillig empfindet, aus der ihm eine tragende Kraft entgegenkommt, wird die Bedeutung der Einzelaufgabe an diesem Gesichts- punkt gemessen werden miissen. Er ist es auch, der der So- zialarbeit ihren Standort zuweist. Betrachten wir die i n h a 1 t i c h e Seite der Fiirsorge. so hat auch sie selbst eine ganz wesentliche Umwertung er- fahren. In der jfidischen Arbeit trat seit dem Umbruch neben die Wohlfahrtspflege gleichbedeutend die Wirtschaftshilfe. Vielleicht ist es vielen unter uns im Drange der Geschehnissc heute noch nicht voll bewuBt geworden, was dieses Schwe- stergebiet der Wohlfahrtspflege der jildischen Allgemeinheit an neuen, finanziell schwer tragbaren Aufgaben zugewiesen hat: Unsere jtidische Gemeinschaft hat aus ihrer religiosen und traditionellen Verpflichtung alliene Aufgaben zu erfaillen, die ihr aus den na t ti r Ii c h e n Auswirkungen persbnlicher und sozialer Unzuldinglichkeiten zugewachsen sind. Diese far- sorgerischen Notwendigkeiten haben durch die gesteigerte Not eine wesentliche Ausweitung erfahren. Zu den bisherigen Aufgaben sind alle jene sozialen Forderungen hinzugekommen, die durch die neue Aktualitait des jiidischen Schicksals in Er- scheinung getreten sind und die wir mit dem Sammelbegriff ,,Wirtschaftshilfe" umreiBen. Es sind also gegentiberzustellen: Wohlfahrtspflege als der normal Ausgleichsversuch den natfirlichen, jetzt gesteigerten sozialen Erscheinungen gegeniiber, Wirtschaftshilfe als Ant- wort auf die symptomischen Folgeerscheinungen zeitbedingter jiidischer Schicksalsentwicklung. Die Wohlfahrtspflege: Trotz dieser notwendigen Unterscheidung darf die Wohl- fahrtspflege keinesfalls eingefahrene Wege weiter beschreiten. Sie hat, gerade well sie aus gewordenen Formen in ak- tuelle Notwendigkeiten fibergeleitet werden muBte, ganz be- sonders von der Gesamtlage unserer jiidischen Gemeinschaft ihre MaBstilbe zu gewinnen. Gerade in der Wohlfahrtspflege miissen wir immer intensive zu neuen Formen der Produk- tivierung kommen, wenn diese Produktivierungsversuche sich auch in abwarts gerichteter Linie bewegen, wenn sie auch nur von der Vorausschau auf einen kommenden Auflosungs- prozeB ihre Begriindung erhalten. Im Zusammenhang mit solcher Fixierung ist es nicht un- wesentlich, darzulegen, wie sich die notwendigen Folgerungen in der praktischen Arbeit des Wohlfahrtsamtes auswirken: Die ,,Fiirsorge des Tages" wird geleistet und parallel zu ihr laufen die stdindigen Bemtihungen einer ,,Vorsorge des Tages". Das heiBt: Die Sicherstellung des Lebensbedarfs, die meist auch neben den Leistungen der Mffentlichen Ffirsorge ge- schehen muB, ist und bleibt heute noch die bis in all ihre Ver- zweigungen zu erffillende Aufgabe. Parallel aber miissen all jene MaBnahmen stindig beachtet werden, die Fiirsorge zur Vorsorge stempeln. Da wir uns darfiber klar sein miissen, daB die schwindende Steuerkraft sehr bald die finanzielle Bewe- gungsfreiheit in der Fiirsorge wesentlich einengen wird, daB wir sehr bald vor Notstinden stehen werden, die wir nur schwer beseitigen kinnen, so sehr wir das auch machten, sind wir trotz der heutigen allgemeinen Tendenz, zunaichst nur das Gegenwirtige zu bewiltigen, zu einer Fiirsorge auf lange Sicht gezwungen. Wir miissen jeden Weg beschreiten, der die Fiir- sorge zu dem Ziel fiihrt, sich selbst tiberflfissig zu machen. Sei dies durch eine noch intensivere Aktivierung der Verwandten- hilfe, sei dies die genaueste Beachtung auch der zunichst geringfiigig erscheinenden Familienbeziehung, die vielleicht zur Grundlage einer Auswanderung werden kinnte, sei dies die Priifung aller beruflichen Umschichtungsmoglichkeiten als gfinstige Voraussetzung einer Verpflanzung, oder sei dies schlieBlich indirekt die Schaffung von guten gesundheitlichen Vorbedingungen, um eine Familie, wo es auch sein mag, existenzfdihig zu erhalten. Gemeindehaus AuBenansicht. Photo Arbeitsgemeinschaft Dadurch gewinnen alle Fiirsorgegebiete an neuer Bedeu- tung, die der Erhaltung von Arbeitskraft und kUrperlicher Existenzfihigkeit dienen. Jetzt, da es nicht mehr einerlei ist, in welcher kdrperlichen und nervlichen Verfassung unsere Menschen einer ungewissen Zukunft entgegengehen, muB z. B. die Gesundheitsffirsorge fiir die berufsreife Jugend mehr in den Brennpunkt des Interesses geriickt werden, als dies bisher geschah. Wir haben eine gut ausgebaute Klein- und Schul- Kindererholungsfiirsorge, die sich in Familien und gut ge- fithrten Kindererholun'gsheimen durchfihren liiBt, wir haben eine Erholungsffirsorge ffir gesundheitlich bediirftige Erwach- sene. Aber das Jugendlichen-Alter, das heute den hirtesten Einsatz wagen muB und sowohl durch Unterernfihrung als auch durch die Ueberleitung in ungewohnte handwerkliche Berufe eine starke k6rperliche Beanspruchung erlebt, kommt bei diesen MaBnahmen etwas zu kurz. DaB dies ganz all- gemein so ist, mag schon die Tatsache beweisen, daB es keine Erholungsheime gibt, die sich speziell auf diese Aufgabe bisher eingestellt haben. Es gehibrt zu den speziellen Merkmalen der Auseinander- setzung mit den Aufgaben des Judeseins, daB jeder aufbauende Plan uns vor die Notwendigkeit stellt, auch seinen negative Wirkungen zu begegnen. Machen wir die Jungen auswande- rungsreif, so taucht gleich daneben die Frage der Versorgung der nicht Auswanderungsreifen, also der alten und alternden Menschen in doppelter Schwere auf, sowohl finanziell, als auch verpflegungsmiiBig. Notwendig ist die Schaffung bil - I i g e r Unterkunftsmdglichkeiten flr alte Menschen, nicht aber der Neubau oder Ausbau kostspieliger Heime, da die fort- gesetzte Schrumpfung der jifidischen Bevilkerung und der Finanzkraft allmihlich die Nachfrage nach solchen Plitzen Seite 18 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches 14. Jahrgang I Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Selte 19 verririgern wird. Einen gewissen Ausgleich bieten auch die in Mannheim wie in vielen andern Stadten aus der Privat- initiative entstehenden Wohngemeinschaften, unter welchen aber die ganz billigen Versorgungsm6glichkeiten noch nicht geschaffen sind und im Bedarfsfall eventuell durch Miet- garantien der jiidischen Gemeinden oder Bezirksstellen erst in gr63erer Zahl erm6glicht werden miiBten. Dabei wire als Preisniveau etwa die H6he der Kleinrente oder Kleinrentner- hilfe anzunehmen. Solche Wohngemeinschaften haben gegen- fiber den Heimen sogar den Vorteil, daB die Menschen sich dort freier fiihlen, als in der notwendigen strengeren Ordnung eines Heimbetriebes. Selbstverstlindlich spielt auch die Einzel- unterbringung in geeigneten Familien eine sogar beiden Seiten dienende Rolle. Die Pflegefamilien miiBten aber mit gr61ter Beachtung aller Momente ausgewiahit warden, da ge- rade alte und krinkliche Leute ihre Interessen oft nicht selbst wahrnehmen kinnen. Es ist im Rahmen dieser Ausfiihrungen n u r m6glich, die fur:s sorgerischen Fragen zu umschreiben, die gerade jetzt in den Mittelpunkt geriickt sind. Es miissen dabei all die Gebiete unerirtert bleiben, die den traditionellen und eisernen Bestand der Wohlfahrtspflege bilden, da sie im Zusammenhang mit der angeschnittenen Frage der Gesamts 1bsung eine untergeordnete Rolle spielen. Statistisches zu.r Wohlfahrtspflege Zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Ausfiihrungen werden durch die Wohlfahrtspflege 396 Familien betreut mit 853 Personen. Staatsangeh6rigkeit der Betreuten Inlander. .555 Auslainder 204 Staatenlose". 94 zusammen 853 Alter der Beitr-euten Bis. 6 Tahre 40 7-14 ,, 101 15-60 ,, 548 iber 60 ,, 164 z usammen. 853 Familienstand der Betreuten ledig .... 397 verheiratet 350 verwitwet 73 geschieden 27 getrennt lebend 6 zusammen 853 Berufsgliederung der Betreuten Es waren: selbstindig als Arbeitnehmer ohne Beruf titig erwerbslos in Landwirtschaft 2 - Industrie 1 -1 Handel .. 77 192 130 - Bilro ... 13 - ohne Beruf 438 zusammen 77 208 130 Von den Betreuten erhielten bffentliche Unterstiitzung 154 Pars teien, also nicht ganz die Hilfte aller unterstiitzten Parteien. Die Frage, ob durch Auswanderung eine Entlastung der Wohls fahrtspflege eintritt, mu3 verneint werden, da der Abwanderung unters stiitzungsbediirftiger Familien ein viel groBerer Zugang an unterstiitzungss bediirftigen Mittelstandsexistenzen gegeniibersteht. Folgende Zahlen belegen diese Tatsache: Von den regelmfliig Unterstiitzten des Wohlfahrtsamtes wanderten seit 1933 aus: 56 Familien mit 223 Personen Die Neuzugange in der Wohlfahrts. pflege umfaften in der gleichen Zeit: 142 Familien mit 507 Personen Da gerade dem minderbemittelten Teil der jiidischen Bevblkerung die verwandschaftliche Beziehung zum Ausland fehlit, die dort Biirgschaft listen und Stiitzpunkt sein k6nnte, entsteht die fiir eine Gemeinde sehr schwierige und belastende Perspektive, daB die Existenzsanierung der jetzt Betreuten durch Auswanderung nur in einem verhAltnismNBig geringen Teil der Falle miglich sein wird. Die Wirtschaftshilie: Zusammenfassend ist vorauszuschicken, daB sich die Wirt- schaftshilfe mit jenrer Gruppe von Menschen befaBt, bei denen Aussicht besteht, daB sie durch productive MaBnahmen Kre- dithilfe, Berufsumschichtung, Auswanderung zur Selbsthilfe kommen k5nnen. Die K redithil fe stellt sich die Aufgabe, Menschen, wenn auch in verengertem Lebensraum, eine tragbare Basis ffir ihre Weiterexistenz zu schaffen. Sie will einem Absinken des jiidischen Mittelstandes entgegenwirken und selbstandige Existenzen miglichst erhalten. Diesem Zweck dient vor allem die Darlehenskasse der Gemeinde, die nach kaufmannischen Gesichtspunkten gefiihrt, Kredite nur gegen ilbliche Sicher- heiten in der durch die Richtlinien der Reichsvertretung festgelegten Form und H6Ihe gewihrt. Sie arbeitet als selb, stdindige Einrichtung der Gemeinde, aber unter Mitarbeit der Wirtschaftshilfe. Neben dieser KreditmOglichkeit, auf rein kaufmannischer Basis hat die Wirtschaftshilfe in engem Rah- men eine freiere Form geschaffen, die hauptsachlich Personal- kredite ohne die fiblichen Sicherheiten solchen Menschen ge- wiahrt, die der Wohlfahrtspflege durch Stfitzung und Sanierung ihrer kleinen Existenz vorerst festgehalten werden k6nnen. So wird die Kredithilfe zunichst zu einer Ueberbriickungs- maBnahme einschneidender Art ffir alle die Menschen, die hier noch ihr bescheidenes Auskommen finden k6nnen. Gemeindehaus Sitzungssaal Photoarchiv Isr. Familienblatt Statistisches zur Wirtschaftshilfe Wir greifen bei dieser Darstellung das letzte Budgetjahr, laufend vom 1. April 1935 bis 31. Mirz 1936 heraus. Wir unterscheiden dabei: 1. Darlehen, die aus Mitteln der Darlehenskasse gegeben werden und welchen gewisse Sicherheiten gegeniiberstehen. 2, Wirtschaftshilfskredite, das sind Darlehen, die aus Mitteln der Wirtschaftshilfe gegeben sind und meistens Personalkredite, das heiBt ungesicherte Kredite, darstellen. Zahlen zu Ziffer 1: Im Etatjahr wurden von der Darlehenskasse gewihrt: 38 Darlehen in HShe von RM 17685.- Von den Darlehensnehmern waren ihrem Beruf nach; GroBhihndler 5 Einzelhindler mit oder ohne offense Verkautsstelle 9 Kleinhindler (Hausierer, Marktfahrer) 4 Landhindler (Viehs, Getreides, Eierhandel) 5 Handwerker 3 Freie Berufe 3 Vertreter 8 Sonstige 1 zusammen 38 Zahlen zu Ziffer II: An ungesicherten Wirtschaftshilfskrediten wurden gegeben insgesamt RM 4564.- an 44 Darlehensnehmer. Hiervon gehorten an: dem GroBhandel 1 dem Einzelbandel 1 Angestellte waren 3 Handwerker 3 Vertreter 36 zusammen 44 Die Tatsache, daB die Summe von RM 4564.- an Wirtschaftss hilfskrediten sich auf 44 Darlehensnehmer verteilt, beweist, daB es sich hier um kleine Kredite handelt. Zu beachten ist, daB 80/o der Dar, lehensEmpfinger den Vertreterberuf ausiiben. Daneben aber und gleichbedeutend konunen alle die MaB- nahmen zur Durchfuhrung, die aiuf eine wirtschaftliclie Neu- ordnung des deutschen Judentums abzielen. Es ist vor allem 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 19 Seite 20 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 die Berufsumschichtung jener groBen Gruppe von Menschen, die in ihren wirtschaftlichen Funktionen nicht mehr verbleiben konnen und handarbeitenden Bertufen zugeffihrt werden miis- sen, umn berufliche Ansatzpunkte im Einwanderungsland zu finden. Die Beruisumschichtung: Es hat wohl im deutschen Judentum kaum eine not- geborene Parole gegeben, die mit solch ehrlicher Griindlichkeit sich Geltung verschafft hat, als die des Hiniiberwechselns in praktische und manuelle Berufe. Diese Entwicklung hat sich schon vor dem Umbruch, gefordert durch den EinfluB der blin- dischen Berufsauffassung, angebahnt und ist nur durch die Wucht der auBeren Umstdnde so elementary gestaltet worden. Betrachten wir alle die Menschen, die heute am Beginn eines neuen Berufsweges stehen, so muB gesagt werden, daB da eine Generation im Wachsen ist, die loskommen will vom n u r Geistigen und den gesunden Instinkt hat, in bescheidenere Berufe hiniiberzuwechseln. Diese Jugend begniigt sich be- wuBt mit einer beruflichen Auswirkung, die ihr ein neues Lebensgefiihl in Aussicht stellt und keinen Scheinwert be- deutet. Die geruhsame Zukunftssicherheit der blirgerlichen Existenz erscheint dem gesund denkenden Teil unserer jii- dischen Jugend gar nicht mehr erstrebenswert, weil sie d!e Entwertung ihrer Inhalte sehr gegenwartig selbst miterlebt. Fiur die Jugend, die in die neue Berufswahl eine geistig fundierte neue Wertordnung bereits mitbringt, ist die zu for- dernde innere Umschichtung selbstverstandlich. Viel problematischer gestaltet sich diese Umstellung, auch wenn sie auBerlich bereits vollzogen ist, bei all den Men- schen, deren Berufsweg bereits in einer blirgerlichen Rich- tung verlaufen war. Fiir sie bedentet das Hiniiberwechseln in einen entgegengesetzten Beruf sehr hiiufig Verzicht auf we- sentlich Erscheinendes. Auch sie beginnen, ebenso wie die Jugend, das Neue und so wenig Gelaufige mit erstaunlichem Mut. Aber sie schaffen es nicht allein, weil sie sich infolge der Lbsung frfiberer beruflicher Bindungen in einer vermeint- lichen Isoliertheit befinden. Hier hat der Hechaluz eine Briicke geschlagen, indem er dem Einzelnen den Riickhalt einer Gemeinschaft gab, die einen eigenen ij i d i s c h fundierten Berufsbegriff geprigt hat. Seine einheitlich gerichtete Ideologie, die ihren Inhalt und ihr Ziel im Aufbau Paldistinas sieht, hat dem wirtschaftlichen Sinn einer beruflichen Einordnung einen jiidischen hinzugefiigt und hat damit den chaluzischen Menschen zu formen versucht. Zahlenmi~Big gesehen erleben wir heute in unserer Gemeinde das folgende Bild': Der Zustrom zur Berufsumschichtung hat im Jahre 1934 seinen Hohepunkt erreicht; d. h. die Menschen, die .aus einem ,vermittelnden" Beruf in einen manuellen Auswanderungsberuf hins iiberwechseln muBten, haben in den Jahren 1933, 1934, 1955 im We- sentlichen ihren neuen Berufsweg begonnen, der grofienteils in eine Auswanderung nach Palastina einmiindete. Seit 1935 hat sich die Si; tuation verschoben. Die chaluzische Einwanderung mit ibrer voraus% gegangenen Berufsumschichtung tritt durch die ungiinstige Zertifikatss lage hinter der Ueberseewanderung zuriick, die nur in den seltensten Fillen beruflich so vorbereitet wird, wie die palistinensische. So kommt es, daB der Zustrom in den manuellen Beruf wohl in seiner Intensitit gleichgeblieben, in seiner altersmiBigen Zusammens setzung sich aber verschoben hat. Statistisches zur Berufsumschichtung Der Zustrom der ausgeschalteten Berufstitigen in die Berufs, umschichtung setzte in Mannheim Mitte des Jahres 1933 ein. Im Seps tember 1933 zihlte man erstmals eine Zahl von 44 Umschichtenden, die im Jahre 1934 ihren Hohepunkt mit 315 erreichte. Die zahlens maiBige Entwicklung war folgende: 1933 1934 1935 January 160 250 February 190 258 Mirz 217 219 April 263 193 Mai 280 189 Juni 304 155 Juli 315 161 August 315 166 September 44 305 164 Oktober 64 302 165 November 113 309 168 December 131 299 269 Neben der Schaffung handwerklicher Ausbildungsmbglichkeiten ist es Aufgabe der Wirtschaftshilfe, die Umschichtung zu finanzieren fiir Menschen, die infolge ihrer wirtschaftlichen Lage die Mittel nicht selbst bereitstellen konnen. Die Finanzierung, die im Durchschnitt einen monatlichen Aufb wand von RM 35.- verursicht und von der brtlichen Wirtschaftshilfe gemeinsam mit der Reichsvertretung getragen wird, erfolgte im Jahre 1933 in 14 Fallen S 1934 ,, 82 S,; 1935 ,, 57 , Die Dauer der Bezuschussung betraigt im Einzelfall durchschnitt, lich I '/2 Jahre. Den Zahlen der Umschichtung sind die der Erstausbildung gegens iiberzustellen, die sich jetit im umgekehrten Verhiltnis zur Berufsum, schichtung bewegen. Wihrend die Umschichtung eine riicklufige Be, wegung zeigt, ist die handwerkliche Erstausbildung im Wachsen be, griffen und stellt sich zahlfenmiafig folgendermaBen dar: 1933 26 hiervon bezuschuBt - 1934 37 ,, 7 1935 81 12 1936 94 18 Die Kosten der Erstausbildung im Einzelfall bewegen sich un, gefahr auf gleicher Hohe wie die der Berufsumschichtung. Die Lehrlingsfiirsorge gerade der letzten Jahre zeigt ein v6llig einseitiges Bild: Die Wahl des kaufminnischen Berufs steht weitaus hinter de.r des handwerklichen zuriick. Verschirft wird dies einerseits durch den groBen Mangel an handwerklichen Lehrstellen, anderer- seits dadurch, daB die Schulentlassung heute von Eltern und Schiilern in einem ffir d!e jiidische Jugend kaum berufsreifen Alter erfolgt, so daB ein Problem entsteht, das von drei Seiten her zu bewaltigen versucht werden muB. Durch eine ergain- zende und in den Beruf iiberleitende Schulbildung, durch die kiinstliche Schaffung handwerklicher Ausbildungsm6glich- keiten und schlieB!'ch durch die Verlegung de.r Ausbildung selbst in das kiinftige Aufenthaltsland des Jugendlichen. Darum sah sich die Gemeinde Mannheim vor die Notwendigkeit ge- stellt, neben der Schaffung einer Aufbauklasse, woriiber im Rahmen der Erbrterung der Schulfragen in diesem Blatt ge- schrieben wird, eine Anlernwerkstfitte fir Schreinerei und Schlosserei zu errichten. Sie hat ihre Ar- beit mit 35 Schillern begonnen, von denen 15 in der Schreinerei und 20 in der Schlosserei ihre 21/2jihrige Ausbildung genieBen. Anlernwerkstatte: Schlosserei Photo Arbeitsgemeinschaft Die Problematik dieses Versuchs ist ebensu alt, wie der Ge- danke der Lehrwerkstaitte selbst, der schon lange vor dem Umbruch als L6sung der handwerklichen Nachwuchsfrage aufgetaucht ist. Klar ist, daB die gute Einzellehre mit ihren vielseitigen beruflichen Betiitigungsm6glichkeiten einer Aus- bildung in einer Lehrwerkstatte vorzuziehen ist. Aber das An- gebot an guten Einzellehrstellen steht, da praktisch nur jii- dische Handwerksbetriebe in Frage kommen, bei weitem nicht im Verhaltnis zur Nachfrage. So bleibt nur die Lehrwerkstatte als Losung in dieser Zeit des Zustroms der Jugend in manuelle Berufe. Es ist unsere Aufgabe, die Vorbedingungen in der Anlernwerkstitte so zu gestalten, daB eine miglichste Anglei- 14. Jahrgang / Nummer 17 Seite 20 Israelitisches Gemeindeblatt 1NIsraelitisches Gemeln-ebl-tt 44__ J11 Q --' '31 Ve chung des Ausbildungsganges an die Einzellehre erreicht wird. Gelingt dies, so kann die Ausbildung durch die Anlernwerk- stitte in ihrer zweifellos gr6Beren Systematik und Konzen- triertheit ein Bildungsziel erreichen, das wohl dem einer guten Einzellehre an die Seite gestellt werden kann. Auch die Tat- sache der beruflichen Gemeinschaftserziehung kann Erzie- hungswerte in den Ausbildungsgang. hineintragen, die in der Einzellehre nicht gepflegt werden k6nnen. Gerade unseren Neulingen im manuellen Beruf kann der Riickhalt einer Ge- meinschaft mit gleichgerichtetem Berufsziel die oft gleich- artigen Anfangsschwierigkeiten der Umstellung wesentlich erleichtern. Anlernwerkstatte: Schreinerei Photo Arbeitsgemeinschaft Nicht uninteressant ist die Zusammensetzun.g des Schiller- materials unserer beiden Werkstitten, die durch die nach- folgenden Zahlen gekennzeichnet ist: Es wurden untergebracht: in der Schlosserei 20 in der Tischlerei 15 Berufe der Viter: Kaufmann 34 (selbstandig und im Angestelltenverhiltnis) Arbeiter 1 Vorbildung der Jugendlichen: Volksschule 12 Volksschule (Sprachklasse) 2 Mittelschule 21 Wohnsitz der Jugendlichen: Mannheim 14 sonstige badische Orte 13 Pfalz ... 3 Saar 2 Hessen. 3 Bis jetzt sind Paliistina und Holland die einzigen Linder, die die berufliche Ausbildungsfrage schulentlassener Jugend- licher im Auswanderungsland selbst konstruktiv und in gr6- Berem Stil zu 16sen versuchen. Beide Ausbildungsm6glich- keiten haben allerdings ganz verschiedene Tendenzen. Wihrend das Werkdorf Niuweslius in Holland, wo sich eine handwerkliche und landwirtschaftliche Ausbildung groBen Stils vollzielit, die Jugendlichen auch wieder nur fiir die U e b e r - s i e d I u n g in andere Liinder auswanderungsreif machen will (aus Mannheim wurden dort- bis jetzt 4 Jugendliche unter- gebracht), verfolgt die Jugendalijah das Ziel, bei den Jugendlichen durch die m6glichst friihzeitige berufliche und pers6nliche Einordnung in das jildische palli- stinensische Leben einen h6chsten Grad von Anpassung an das Land und seine Notwendigkeiten, ganz besonders aber an das Lebepi in der kibuzzischen Gemeinschaft zu erreichen. Auch dort ist eine mehrjahrige berufliche, hauptsachlich land- wirtschaftliche Ausbildung vorgesehen, neben der gleichbe- deutend die jildisch sprachliche und jiidisch bildungsmiBige Arbeit beachtet wird. Eine groBe Anzahl von Kibuzzim in Pallistina hat Jugendalijahgruppen angegliedert. Man kann die Erfolge dieser zweifellos fiir das Land sehr geeigneten Form der Jugendbildung noch nicht fibersehen, da es noch nicht viele Gruppen gibt, die dort die berufliche Ausbildung berets abgeschlossen haben. Die Jugendalijah nach Palistiina setzte erst im Jahre 1934 ein. Die zahlenmaBige Enlwicklung war folgende: 1934 kamen aus Mannheim. .. .... 3 Jugendliche 1935 .. 11 ,, 1936 ,, ,, bis Juli 11 nach Palistina. Im Ganzen kann von der Berufsausbildung gesagt werden, daB sie heute den produktivsten Teil der Wirtschaftshilfe bildet, und daB die Verantwortlichkeit, die die jidische Ge- sellschaft fur ihren Nachwuchs trgigt, einen deutlichen Aus- druck in dem lebendigen Interesse findet, das den Fragen der Erstausbildung entgegengebracht wird. Die Frage der Finanzierung aller geschilderten Aufgaben ist selbstverstindlich das Kernproblem, von dem die Weite und die Stdirke ihrer Wirkungsmbglichkeiten weitgehend ab- hidngen. Gerade seit dem Umbruch haben sich die finanziellen Triger der jiidischen Sozialarbeit vollkommen vertindert. In dem MaBe, wie alle ffirsorgerischen Fragen an Popularitiit ge- wonnen haben, bedingt durch die Unmittelbarkeit der Not, ist auch der Einzelne als finanzieller Traiger der Wohlfahrts- pflege deutlicher in Erscheinung getreten. Es gibt wohl kaum einen stiirkeren Beweis der Solidaritit, wie den, den das deutsche Judentum durch seine 5uBerste finanzielle Bereit- schaft zur L6sung aktueller ffirsorgerischer Fragen erbracht hat. Wiihrend in den Jahren vor dem Umbruch die Tendenz dahin going, die Gemeinde selbst mit ihren Steuermitteln neben den bestehenden Vereinen zum finanziellen Haupttriiger der Fiirsorge zu machen, ist aus der gegenwartigen Lage eine an- dere Lastenverteilung erwachsen. AuBer den Budgetmitteln der Gemeinde, auBer den Wohlfahrtsmitteln der Vereine muB- ten neue Triger eingefiigt werden, umrn das grlBer gewordene Gebdiude zu stiitzen. Es traten ganz wesentliche, neue Hilfs- faktoren dazu: Die neuartige und intensive Erfassung des Ein- zelnen als Geber durch die Aktion ,,Hilfe und Aufbau" und durch die ,,jidische Winterhilfe". Daneben als Ausdruck einer einheitlichen finanziellen Planung der Einsatz von Mitteln aus zentralen Quellen der Reichsvertretung, des Hilfsvereins und des Palistina-Amtes. Gerade diese Entwicklung finanzieller Lastenverteilung kennzeichnet die Linie der Gesamtverantwortung und zugleich der Einzelverantwortung auf eine fiberaus priignante Weise. Vielleicht wird sie einmal zu einem Nachweis daffir werden, daB unsere Generation durch ihre Antwort auf die Not vor der jiidischen Geschichte bestehen kann. Dies aber nur, wenn wir darum ringen, die Arbeit mit dem j ii d i s c h e n Gehalt zu erffillen, der ihrer Aufgabe gemBl3 ist. Mia Neter. Die Auswanderung Die Auswanderungshilfe in ihren zwei Formen, der Aus- wandererberatung und der Auswanderungsfinanzierung, ge- h6rt zu denjenigen Gebieten, die mit dem Umbruch des Jahres 1933 als neue Aufgaben in den Bezirk jildischer Sozialarbeit traten. Wenn bisher schon organisatorisch gesorgt war fir Auswanderer und Durchwanderer, so handelte es sich hier- bei im weit fiberwiegenden MaBe um Hilfeleistung fur nicht in Deutschland ansfissige Juden, insbesondere aus den osteuro- pdiischen Staaten. Als mit dem Jahre 1933 eine Auswanderung von Juden aus Deutschland einsetzte, die sich in ihrem Umfang und ihrer Bedetuiig mit den grollen Wanderungen der spanischen und der russischen Juden messen kann. muBte von jiidischer zentraler sowie 6rtlicher Stelle schnellstens Hilfe geleistet werden. 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindehlntt CSn i11 Seite 22 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 Das grIBte und verantwortungsvollste Aufgabengebiet der Auswanderungshilfe, die Auswandererberatung, ist infolge ihrer reichsgesetzlichen Regelung nur auszuiiben durch staat- lich anerkannte Beratungsstellen. Als solche bestanden fir die palistinensische Wanderung das ,,Palistina-Amt der Jewish Agency" in Berlin und fir die Wanderung in die gesamte fibrige Welt der ,,Hilfsvere.in der deutschen Juden" Berlin (jetzt ,,Hilfsverein der Juden in Deutschland"). Die Gemeinden konnten durch ihre Wirtschaftshilfsstellen den an sie heran- tretenden Ansturm von Ratsuchenden, nur als Mittler zu diesen Stellen zu bewAiltigen versuchen, da ihnen ein eigenes Bera- tungsrecht nicht zustand. Das Paldistina-Amt schritt schon bald zur Griindung von Zweigstellen im ganzen Reich und so auch in Mannheim, entsprechend der GroBe der paldistinensischen Auswanderung in den Jahren 1933 und 1934. Dadurch wurde den Wirtschaftshilfsstellen der Gemeinden die Aufgabe der Beratung von Palist'na-Wanderer abgenommen, abgesehen von der Durchftihrung von Auswanderungen berufsumschich- tender Menschen, die auf Arbeiterzertifikat nach Palaistina ein- wanderten. Als mit dem Jahre 1935 die nichtpalistinensische Wande- rung, insbesondere die Uebersee-Wanderung, an Bedeutung immer mehr gewann, schritt auch der ,,Hilfsverein der Juden in Deutschland" zur Grfindung von Zweigstellen im ganzen Reich. Der Sitz einer Zweigstelle wurde nach Mannheim ver- legt. Der Hilfsverein legte dabei Wert auf eine moglichst enge Zusammenarbeit zwischen Gemeindeinstanzen und Zweig- stellen, was bei der Mehrzahl der sfiddeutschen Zweigstellen durch Betrauung bisher in Gemeindediensten stehender Men- schen mit der Leitung der Zweigstellen seinen Ausdruck fand. Damit ist die Auswandererhilfe, soweit es sich umrn A u s - wanderer beratung handelt, sowohl fair die Paldistina- Wanderer als auch fur die Wanderer nach nichtpalistinen- sischen Lindern ganz aus dem Aufgabengebiet der Gemeinde ausgeschieden. Als interessant ist zu vermerken, daB die zwei Berliner Zentralstellen, das Palistinaamt und der Hilfsverein, die einzigen jiidischen sozialen GroBinstitutionen sind, die uiber einen ihnen unmittelbar unterstellten Verwaltungsapparat im ganzen Reich verfiigen. Die zweite Aufgabe, die F i n a n z i e r u n g der Auswan- derung in bediirftigen Fallen, erfolgt dagegen in engster Zu- sammenarbeit der beiden Organisationen mit der Wirfschafts- hilfsstelle der Gemeinde. Nach den fiir die Arbeit geltenden Richtlinien werden Zuschiisse gemeinsam von Heimatgemeinde und Auswanderungsorganisation getragen. Beide Stellen. tra- gen mit einer Bewilligung oder Ablehnung eine groBe Ver- antwortung, da es sich ja darum handelt, mit den verfiigbaren Mittein sparsamst umzugehen, ohne aber eine sinnvolle Aus- wanderung durch Nichtgewihrung eines Zuschusses zu ver- eiteln. Diese Arbeit liiBt sich nur o1sen durch vertrauensvoll- stes Zusammenwirken der zusammenarbeitenden Stellen. Was nun die Auswanderung aus Mannheim im Speziellen angebt, so ist zuniichst festzustellen, daB sie sehr schnell und in sehr starkem Umfang einsetzte, Die in dem zweiten und dritten Quartal des Jahres 1933 einsetzende fiberstiirzte Aus- wanderung in europdische Grenzllinder, die damals im Vor- dergrund der Auswanderung stand, hat heute mehr und mehr Platz gemacht einer wohlvorbereiteten Auswanderung, die von vornherein unter dem Gesichtspunkt einer endgailtigen Lbsung erfolgt. Uebersicht iiber die Auswanderung aus Mannbeim in der Zeit vom 1. 4. 33 bis 30. 6. 36 l 1.4. 33-31.8.35 1.9.35 30.6.36 Ins. Wanderungziel (29 Monate) (10 Monate) gesamt Europa 319 144 463 Palistina. 257 115 372 Uebersee 77 176 253 Unbekannt 7 17 24 Gesamtauswanderung 660 452 1112 Aufteilung der UeberseesAuswanderung 1. 4. 33-31. 8. 35 1. 9. 35-30. 6. 36. Insges. USA.. 50 112 162 Siidamerika 23 54 77 Siidafrika 4 10 14 Insgesamt 77 | 176 1 253 Als Spezialform der jifdischen Auswariderung seen neben der schon erwiahnten Auswanderung jugendlicher Men- schen als Handwerker und Landwirte nach Palistina, und der Jugendalijah, die in dem vorstehenden Artikel ausfiihrlich dar- gestellt wurde, die sehr bedeutungsvolle Kinderverschickung nach den Vereinigten Staaten genannt, sowie die Ansiedlung von siedlungsf~higen und giedlungswilligen Familien durch die JCA (Jewish Colonisation Association) in Argentinien. In dem ersten Falle handelt es sich darum, daB schulpflichtige Kinder von amerikanischen jiidischen Familien aufgenommen wurden und mit ihren eigenen Kindern erzogen und spater einer Be- rufsausbildung zugefiihrt werden. Dabei spielt insbesondere auch eine Rolle die spditere Aussicht, daB diese Kinder einmal ihren Eltern und Geschwistern ein Nachkommen ermoglichen kinnen. Die besonderen Merkmale, hunter denen die Auswanderung aus Mannheim steht, sind einmal die in den Jahren, 1933-1935 weit fiber Reichsdurchschnitt stehende Auswanderung nach Palistina. Daraus erklhirt sich, abgesehen von den allgemeinen Umstiinden, das starke Zuriickgehen der Paldistina-Wanderung Ende 1935 und in dem erster Halbjahr 1936. Besonders be- merkenswert ist weiterhin die auBerordentlich starke Auswan- derung nach den Vereinigten Staaten, dadurch ermiglicht, daB im vorigen Jahrhundert schon eine starke Auswanderung nach Amerika stattgefunden hat, wodurch sich heute die familiaren Verbindungen ergeben, die die Voraussetzung fiir eine Ein- wanderung in dieses Land bilden. Weiterhin ist fiir Mannheim typisch die relative groBe Zahl von Auswanderungen nach Ar- gentinien, wiederum zu erklaren durch die starken 'Bindungen Mannheims als Getreideplatzes an Buenos Aires. Die richtige Lenkung der Auswanderung ist heute eine entscheidende Aufgabe fiir die jiidische Gemeinschaft geworden. Hingt doch hiervon nicht nur die Zukurnt des einzelnen Aus- wanderers ab, sondern auch welter gesehen die Zu- kunft der nicht mehr auswanderungsfahigen und in Deutsch- land zurfickbleibenden Familien. Nicht zuletzt soil hier aber auch darauf hingewiesen werden, daB jedte in ihrer Vorberei- tung und in ihrem Reiseziel sinnlose Auswanderung nicht nur dem einzelnen Auswanderer zugerechnet wird, sondern Fol- gen fur die gesamte jiidische Wanderungsfrage haben kanm. Aus diesem Grunde ist die weitere enge Zusammenarbeit der groBen jiidischen Wanderungsorganisationen und ihrer Zweig- stellen mit den Gemeindeinstanzen eine Notwendigkeit im In- teresse der Lbsung einer gemeinsamen Aufgabe. Dr. Franz-Ludwig Auerbach. Dasjiid. Krankenhaus u. Altersheim Vor wenigen Wochen erfolgte, in aller Stille die Verlegung unseres Gemeinde-Krankenhauses von der Stiitte seines bis- herigen Wirkens in E 5 nach neuen Riumen in der Collini- straBe, im Osten der Stadt. Mit dieser Uebersiedlung ist ein 225 Jahre dauerndes Stuck Geschichte unserer ehrwfirdigen Gemeinde endgiiltig abgeschlossen und ein neuer Abschnitt hat angehoben. Die Stunde des Abschiedes von einem Hause, das fiber zwei Jahrhunderte so viel Leiden, Hoffen und Glfick kran- ker Korper und Seelen von jiidischen und nichtjfidis'chen Men- schen, aber auch unsagbares Liebeswerk an Kranken und Alten im Geiste jfidischer Zedakah in sich sah, konnte zu einem Rfickblick AnlaB geben. Spiegelt sich doch in der Ge- schichte des jifidischen Krankenhauses ein wesentliches Stuck Geschichte der jiidischen Gemeinde Mannheim selbst. 14. Jahrgang / Nummer 17 Seite 22 Israelitisches Gemeindeblatt e tLe 223 1.alrngINme17Israelitisches Gemeindeblatt C v~ In dem Augenblick, da wir aus stadtebaulichen Grfinden das alte Spital der Stadtgemeinde fiberlassen muBten, bestand Einmiitigkeit innerhalb der Gemeindegremien, daB wir unter allen Umstanden unseren jfidischen Kranken einen vollwer- tigen Ersatz zu bieten hatten. Ueber das Wie und Wo war freilich ein sorgsames Beraten notwendig. Es diirfte ja hin- Gebaude seiner nunmehrigen Doppelaufgabe an Kranken und Alten zuzufiihren. Der westliche Fliigel wird weiterhin 25 alteren Insassen als Heimstatte verbleiben; der Ostteil aber soil ausschlieBlich den Bestimmungen eines Kranken- hauses neuzeitlicher Art dienen. Die beiden ,,Heime" sind dar- um durch eine im ErdgeschoB beginnende und bis oben hin durchgefiihrte glaserne Scheidewand villig voneinander ge- trennt. Gemeinsam blieb beiden die herrliche Lage des Hau- ses, abseits vom Larm der Stadt, sowie der Blick ins wohlige Grin des Luisenparkes, auf den geraumigen Garten des Hau- ses mit Liegewiese und dahinter die ruhig flieBenden Wasser des Neckar. Beiden Anstalten dienen auch in Zukunft die im GartengeschoB liegenden wegen ihrer zeitgemaBen Einrich- tung friiher schon viel gelobten Wirtschafts-, Wasche- und Kiichenraume. Um aber auch hier jegliche unliebsame Reibung zu verhiiten, wurde von der gemeinschaftlichen Kibche nach dem Altersheim-Fluigel ein Gang gebaut, der mittels eines Speisewagens die rasche Versorgung der dortigen Insassen gewahrleistet. Um die bisher gleichgroBen Zimmer des Al- tersheimes fiir die Bediirfnisse des Krankenhauses herzurich- ten, muBten mehrfach die Wande versetzt werden. So en't- standen: 7 Zimmer 1. 7 Zimmer 2. 2 geraumige 2 geraumige .- .m m...m .. _ Altes Krankenhaus Photo Arbeitsgemeinschaft reichend bekannt sein, wie schmerzlich groB in den letzten Jahren der SchrumpfungsprozeB an Menschen und Vermagens- werten innerhalb unserer Gemeinde war. Immerhin ffir 5 000 jiddische Seelen Mannheims, wozu noch eine nahere und wei- tere Umgebung kommt, die eines jiidischen Krankenhauses entbehrt, blesteht eine dringende Notwendigkeit, im Krank- heitsfalle Unterkunft zu bieten. Als verhaltnismaBig beste LOsung ergab sich schlieBlich die Mitverwendung des vor sechs Jahren errichteten jildischen A It e r she i ni e s in der CollinistraBe fiir die Zwecke des K ran k enhause s. Mit Hilfe des Erbauers des Altersheimes, des Bau- meister Nathan aus Frankfurt am Main, gelang es in vorziiglicher Weise durch Um- und Anbauten das seitherige Altersheim und neues Krankenhaus Photoarchiv Die lebendige Stadt Klasse Klasse Sale 3. Sale 3. mit je 1 Bett. mit je 2 Betten. Klasse mit je 3 und Klasse mit je 4 Betten. Ferner wurden zwei Isolierraume, Teekilchen, Tagesraume flir Rekonvaleszenten, Verwaltungsraum sowie die erforderlichen Schlafraume fuir Schwestern und Hauspersonal gewonnen, die teils an die eigentlichen Krankenzimmer harmonisch angereiht sind, zum anderen Teil sich im Oberstock befinden. Der Ku- bikraum ist iiberall so reichlich bemessen, daB neben den vor- gesehenen 37 Betten im Bedarfsfalle, mindesten in den vier Salen 3. Klasse noch je ein Bett plaziert werden kann. Die Einrichtung samtlicher Raume ist gemaB der finanziellen Lage der Gemeinde schlicht, doch durchaus hinreichend auch fuir anspruchsvolleren Geschmack; insbesondere fallt die nach neuzeitlichen Erfahrungen getroffene Anordnung der Licht- und Signalanlageni angenehm auf. Durch N e u b a u zu schaf- fen war vor allem der Operationsraum, der, architektonisch sehr gut gelungen, hygienisch einwandfrei in der Mitte der Gartenfront erstellt wurde. Er besteht aus einem gr6Beren Saal fiir aseptische und einem kleineren fiir septische Opera- tionen; zwischen beiden befindet sich ein Sterilisationsraum fiir Wasche und Instrumente, ferner Vorbereitungs- und Waschraume ftir Aerzte und Schwestern., Im Operations-Saale fallt neben der lIickenlosen Innen-Einrichtung, wie sie den Er- rungenschaften von medizinischer und technischer Forschung entspricht, namentlich die eigenartige Liiftungs-Anlage ins Auge; sie wird den Besonderheiten der wechselnden Jahres- zeiten bestens genfigen. Neu zu beschaffen war auch die ge- 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Cremeindahla~t S/^./ ' Seite 24 IsraelitischesGemeindeblatt 14. Jahrgang / Nimimer 17 samte Ri6ntgeneinrichtung, die nunmehr allen Anspriichen der Diagnostik geniigt. Raumlich gut untergebracht sind die Ap- parate filr HIhensonne, Diathermic, sowie die medizinischen Bader. Sowohl im Altersheim, wie im Krankenhaus befindet sich ein Personenaufzug. Mit dem Hause verbunden und in ihm riumlich unter- gebracht ist das ,,Israelitische Krankenschwesternheim", das vor einiger Zeit der Gemeindeverwaltung an.gegliedert wurde. Hier stehen einige erfahrene Schwestern fur ambulante und ganze Pflegen in jiidischen Privathausern jederzeit zur Ver- fiagung. Derart neuzeitlich ausgestattet mogen Krankenhaus und Altersheim weiterhin ihre segensreiche Wirksamkeit austiben. Julius L6ffler. Jiidische Klassen der Grunds und Hauptschule Mannheim Als das Schulgesetz vom Jahre 1868 die Errichtung von Simultanschulen gestattete, wenn die Schulgemeinden der bestehenden konfessionellen Schulen der Verschmelzung zu einer Gemeinschaftsschule zustimmten, wollte auch die jii- dische Gemeinde Mannheim dem Zeitgeiste nicht entgegen sein, der auf eine solche Verschmelzung hindrangte, und so konnte auf Ostern 1870 die erste Simultanschule Badens in Mannheim er6ffnet werden. Die drei Lehrer an der jiidischen Schule wurden von der Gemeinschaftsschule fibernommen. Hof der Volksschule Photo Arbeitsgemeinschaft Sechs Jahre spiter wurde die Simultanschule durch Gesetz fiur das ganze Land verpflichtend. Die jiidische Gemeinde Mannheims hatte also freiwillig etwas aufgegeben, das doch nicht mehr zu halten gewesen war; auBerdem kam die Simul- tanschule dem Streben entgegen, mit der Umwelt in mdglichst enge Fiihlung zu treten und sich ihr anzupassen. Aehnlich, wenn auch aus den entgegengesetzten Grfinden, verhielt sich die hiesige Gemeinde nach dem Umschwung 1933. In Erkenntnis der Tatsache, daB ein Verbleiben der jiidischen Schiiler in den allgemeinen Schulen nicht lange mehr ange- bracht sein werde, wurde an Ostern 1934 eine ifidische An- ffingerklasse mit einem jiidischen Lehrer im Rahmen der all- gemeinen Volksschule erdffnet, zu der, obwohl kein Zwang ausgefibt wurde, beinahe 90% der Schulanfanger gemeldet wurden. Ostern 1935 kam eine zweite und im Herbst desselben Jahres eine dritte jiidische Klasse hinzu; auch diese beiden Klassen umfaBten nahezu alle jfidischen Schfiler der betref- fenden Jahrgfnge. An Ostern dieses Jahres wurde nun nach vorausgegan- genen Verhandlungen d.es Oberrats mit dem badischen Unter- richtsministerium die jiidische Schule in eine achtklassige aus- gebaut und eine neunte Aufbauklasse hinzugefiigt. Die Schii- ler werden in allen Ffchern von jildischen Lehrern unterrichtet und sind mit Ausnahme der ersten, zweiten und neunten Klasse in einem besonderen Schulhaus untergebracht. Die acht Volks- schulklassen bilden einen Teil der allgemeinen Grund- und Hauptschule und sind wie diese dem Stadtschulamt unterstellt. Naheres darfiber wurde in Numnmer 10 dieses Blattes aus- geffihrt. Da die Raume in K 2 fiir die dort zu unterrichtenden 365 Schiller 194 Knaben und 171 Madchen nicht aus- reichen, muB ein Teil der Unterrichtsstunden in den Raumen der Clausschule abgehalten werden. Die Schule ist also zum Teil wieder in die Raume zurfickgekehrt, in denen vor mehr als 100 Jahren die erste ifidische Volksschule in Mannheim erbffnet wurde. DaB Eltern und Schiiler die Zeichen der Zeit verstanden haben, beweist der Umstand, daB in die Haupt- schulklassen, ffinftes bis achtes Schuljahr, etwa 100 Schfiler freiwillig aus den hoheren Schulen eingetreten sind. Aus miind- lichen und schriftlichen AeuBerungen der Jungen und Miidchen gewinnt man den Eindruck, daB dieser Uebertritt von der hid- heren zu der Volksschule, deren Lehrplan allerdings gegen- fiber der allgemeinen Schule um das Englische als Lehrfach der Oberklassen erweitert ist, von ihinen nicht als ein Herab- steigen betrachtet wird, wie das wohl nach friiheren Anschau- ungen der Fall gewesen wfire. Im Gegenteil. Sie fiihlen sich hier frei von fiuBeren und inneren Hemmungen und wissen, daB ein ganz anderes Vertrauensverhiltnis zwischen Lehrern und Schfilern und zwischen den Schfilern unter sich mdglich ist als in der bisherigen Umgebung, selbst wenn sie dort, wie wahrheitsgemaiB festgestellt werden muB, in den meisten Fil- len keinerlei iuBeren Belfstigungen und Krinkungen ausge- setzt waren. Mit einer Selbstverstandlichkeit, die uns Er- wachsene oft in Staunen setzt, haben sie erkannt, daB sie andere Wege in der Berufswahl einschlagen mfissen, als ihre Eltern und GroBeltern, daB die Zeit den jiidischen Kaufleuten und Akademikern nicht giinstig ist, und so werden sie gr6B- tenteils handwerkliche, technische und landwirtschaftliche Berufe ergreifen, um sich in Palistina oder sonstwo im Aus- lande eine Existenz zu griinden, und viele denken jetzt schon daran, ihre Eltern nachkommen zu lassen und fur sie zu sorgen. Wenn wir so in unsern jiidischen Klassen eine Jugend vor uns seen, die sich keinen Illusionen hingibt, sondern ohne Be- dauern und ohne Sentimentalitit den Tatsachen ins Auge sieht, so erwichst der Schule daraus die verantwortungsvolle Auf- gabe, die Jugend fiar das schwere Leben, das ihr bevorsteht, vorzubereiten durch eine starke Verwurzelung im Jiidischen, damit sie iuBeren Anfechtungen mit innerem Stolz und Selbst- bewuBtsein begegnen kann, durch Gewohnung an Selbstzucht und Zurfickhaltung, durch Vermittelung eines festen Wissens, Ausbildung der manuellen Ffhigkeiten und Stfrkung der kor- perlichen Krifte durch Turnen und Sport. Mdge das schwere Werk durch Zusammenwirken aller beteiligten Faktoren, Leh- rer und Schiller, Eltern und Gemeinde gelingen! Berthold Stahl. Die Aufbauschule Eine der jiingsten Einrichtungen der Jiidischen Gemeinde Mannheim ist die Schaffung von Aufbauklassen (eine 9. Klasse besteht schon seit Anfang Mai dieses Jahres, eine 10. Klasse soll noch ins Leben gerufen werden), die der Ausbildung be- sonders solcher Jugendlicher dienen sollen, die unmittelbar oder mittelbar vor der Vorbereitung far die Auswanderung stehen bzw. vor dem Eintritt in eine Berufslehre. Neben einer allgemeinen Wissensgrundlage werden spezifisch jiidische Kenntnisse fibermittelt und zwar wesentlich mehr, als der Religionsunterricht der hdheren Schulen in zwei Wochen- stunden auch nur anstreben konnte. Wobei es sich von selbst versteht, daB der Unterricht in den jildischen Ffchern (Iwrith, Jiudische Geschichte, Tenach) ein anderes Gesicht aufweist, als jener Religionsunterricht haben konnte. Als Fremdsprache ist Englisch obligatorisch, doch wird den Schillern auch die Mdglichkeit gegeben, an wahlfreiem Franz6sisch teilzunehnimen. Der Unterricht in Deutsch, Allgemeiner Geschichte und Po- litischer Geographie bemiiht sich, eine allgemeinste ,,Daseins- orientierung" (wenn dieser Ausdruck Jaspersscher Existenz- philosophie hier statthaben darf) zu geben, wdhrend Mathe- Seite 24 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang / Nummer 17 14. Jahrgang / Nummer 17 25 matik, Chemie, Physik, Buchfiihrung, Wirtschaftskunde, K6rperkunde (Gesundheitslehre), Werkunterricht (ffir Knaben), Hauswirtschaftskunde und Handarbeitsunterricht (fir Mid- chen) spezielleres Wissen vermitteln. Auch Singen, Turnen und Sport werden im Rahmen der gegebenen Mdglichkeiten gepflegt. Mit der Schafftmg dieser Aufbauklassen (die bereits be- stehende 9. Klasse wird gegenwartig von nahezu 40 Schillern Knaben und Madchen besucht) hat sich die Gemeinde, als Haupttrigerin dieser Einrichtung auf Neuland begeben; denn, obwohl die Reichsvertretung der Juden in Deutschland schon seit Ifingerer Zeit die Schaffung solcher Klassen anregt, sind auf diesem Gebiet noch nicht viele Erfahrungen gesammelt worden. Dies macht die erzieherische Arbeit in diesen Klas- sen zwar zu einer besonders schweren,.dafiir aber auch um so reizvolleren Titigkeit, indem sie schulreformerischen Be- mtihungen ein weites Spielfeld einriumt. Dr. Kurt Berg. Das Lehrhaus Das Freie Jiidische Lehrhaus, das Franz Rosenzweig im Juli 1920 in Frankfurt a. M. gifindete, wurde mit seinem Ziel, Mittel- und Keimpunkt fur das jifidische Leben des jiidischen Menschen zu werden, die Mutter der in Deutschland entstehen- den Lehrhiuser. Bereits im Herbst 1920 gab der damalige Vor- sitzende unserer Gemeinde, Herr Oberrat M. Goldschmidt, die Anregung zu einer Vortragsreihe fiber wichtigste Fragen der jildischen Gegenwart fUr sinmtliche Mitglieder der Gemeinde. In unserer Gemeinde wurden neben den Vortrigen der Organisationen in den Reihen der Jugend Arbeitsgemeinschaf- ten ins Leben gerufen. In der Oktober-Nummer 1927 unseres Gemeindeblattes hat der Unterzeichnete in seinem Aufsatz fiber ,,Das Judentum und die religi6se Lage der Gegenwart" der Notwendigkeit Ausdruck verliehen, ein neutrales jifidisches Lehrhaus ins Leben zu rufen, in dem Jugend und Erwachsene a 11 e r Richtungen ihre ,,Riistung" erfahren sollen. Im Novem- ber 1928 ver6ffentlichte Rabbiner Dr. Grfinewald den Entwurf zu einem Lehrhausprogramm, das ,,der Tradition des Lehr- hauses und den Bedingungen unserer Zeit Rechnung tragen solle." Als Lehrgegenstinde wurden vorgesehen Hebrhiisch (mit besonderen Abteilungen ffir die Jugend), Bibel, Geschichte und Kultus. Arbeitsmethode: seminaristisch. Oeffentliche Vor- trage sollen sich aus den in den Kursen er6rterten Fragen ergeben. Mit der Feler des 200. Geburtstages von Moses Mendels- sohn am 22. September 1929 erdffnete Rabbiner Dr. Griinewald im groBen Saale des Casino das Lehrhaus der jiidischen Ge- meinde. Die Worte Moses Mendelssohns in einem Briefe ,,lch marschiere langsam, aber unaufhorlich" wurden zum Leit- spruch fiir die Entwickhlung des Lehrhauses erhoben. Bereits im ersten Winterhalbjahr brachten Vortrige fiber ,,die Struk- tur des jiidischen Gebets, fiber Grundbegriffe des jiidischen Rechts, Rechtsgeschichte der Juden in Deutschland, bev61lke- rungsgeschichtliche Aufgaben der jfidischen Familie in Deutschland und Arbeitsgemeinschaften im oben bezeichneten Sinne unsere jiidischen Menschen einander naher. Von vorn- herein wurden fortlaufende Kurse als bedeutsamste Lehrhaus- aufgabe erkannt; aber der urspriinglich festgelegte Rahmen wurde auch bald gesprengt: Die Beziehung der Arbeitsgemein- schaften zu den fffentlichen Vortragen wurde lockerer, das Arbeitsgebiet der Arbeitsgemeinschaften erweitert (z. B. durch Religionsphilosophie u. a.). Der Zusammenhang der jfiidischen Geschichte mit der Gegeniwart wurde bereits im 2. Semester durch Vortrage an- gestrebt, die vom Bildungsbegriff der Antike, des Christentums und des Judentums ausgingen und jfidische Personlichkeiten behandelten, die das Mitbestimmungsrecht des Judentums an der Zeit bewiesen. Die Krise der Weltpolitik in ihrer Beziehung zur Frage nach der religi6sen Wirklichkeit, die Juden in dent verschiedenen Lindern waren Themen, die neben Erziehungs- fragen und Behandlung biblischer Stoffe in Vortraigen und Ar- beitsgemeinschaften bis zum Friihiahr 1933 im Vordergrund standen. Die Umwilzung des Jahres 1933 erwies erneut die Not- wendigkeit des Lehrhauses. Die Gesamtzahl der stetig lernenden Teilnehmer an den Lehrkursen betrug his dahin h6chstens 100. Im Frfihjahr 1933 erfuhr das Lehrhaus einen Zugang an stetigen Hirern, deren Zahl bereits im Som- merhalbjahr die Zahl 600 erreichte. D.ese gesamte Erscheinung n6tigte zu einer Ueberprfifung der Grundsatze unserer Lehr- hausarbeit nach ihrer Tiefe und Breite. Der Mittelpunkt des Lehrhauses, die jiidische Lehre und Welt, hatte sich als neue Kraftquelle ffr die bedringten jfidischen Mitmenschen zu be- wahren. Es galt, Fertigkeiten und Kenntnisse der neuen Lehr- hausbesucher mit den Forderungen ihrer neuen Leblensziele und denen eines jiidischen Lehrhauses in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe konnte nur durch wache Wahrnehmung der jiidischen Bildungsforderungen und durch die erhi6hte Auf- merksamkeit in der Einzelberatung und damit durch die Sprechstunde in ihrer neuen Bedeutung durchgefiihrt werden. Zu den friiheren Kursen traten solche fiber Literatur, Ge- schichte, jiidische Lebensform, Palastinakunde, die Sprachen der Auswanderungslander, Wirtschaftslehre, Kurzschrift, Ma- schinenschreiben, Handfertigkeit, Naihen, Kochen u. a. Im Win- terhalbjahr 1933/34 bestanden bereits 38 Kurse, die von 600 H6rern besucht und von 23 Lehrkriiften geleitet wurden. Bei dieser Vielheit der Kurse und Lehrkrafte zeigte sich als dring- lichste Aufgabe, die Einheit der Kurse und Lehrkrafte durch die Arbeitsgemeinschaft der Lehrenden (Sitzungen und per- s6nliche Aussprache) zu erstreben. Der schnelle Wandel der Lage brachte mit jedem Semester Neuerungen. Im Sommer- halbjahr 1934 wurde flir die blindische und nichtbfindische Ju- gend die Schule der Jugend eingerichtet. Tenach, Iwrith, Ge- schichte, Palastinakunde, Einfdihrung in das Judentum wurden als dringlichste F1icher festgesetzt. ErmuiBigte Geblihren soll- ten den Jugendliclien den Zugang zu diesen neuen Kursen er- leichtern. In Zusammenhang hiermit standen Vortrage fiber den ,,Sinn jUdischer Bildung" und fiber ,,Das Siedlungsproblem". Im Winter-Semester 1934/35 wurde die Schule der Jugend durch zwei Kurse ,,Allgemeine Einleitung in das Wissen voin Judentum" ,und ,,Altjfidisches Schrifttum auBerhalb der Bibei" sowie durch jiidische Gegenwartskunde erweltert, die im Zu- sammenhang mit den diesbezfglichen umfassenden Entwfirfen Ludwig Feuchtwangers behandelt wird. 110 Jugendliche ge- h6rten bereits im ersten Semester der Schule der Jugend an. In Verbindung mit der Berufsausbildungsstelle des jiidi- schen Jugendamtes wurden im Sommer 1935 allgemeine und berufliche Fortbildungskurse ffir die Schulentlassenen ein- gerichtet. Ffir Midchen wurden Kurse fiir Erziehungsfragen und Einfiihrung in die Psychologie, ffir Nihen and Zuschneiden vorgesehen. Ein villiges Neuland der Lehrhausarbeit eriffnete sich mit dem Ausstellungsgedanken, der als Zeugnis des unverwiist- lichen jiidischen Lebenswillens in dreifacher Weise seine Ver- wirklichung fand: 1. in der Ausstellung der Handfertigkeits- arbeiten von Kursteilnehmern (Sommer 1934), 2. ,,Jiidische Lichtbildkunst" und 3. ,,Das jiidische Buch" (Sommerhalbjahr 1935). Alle drei Ausstellungen libten eine dauerhafte Wirkung in kleineren Kreisen aus. Bezeichnend war das Zustandekom- men eines Kurses fur die Einffihrung in die Lichtbildkunst. Die Ausstellung jiidischer Lichtbildkunst durfte als erste Veran- staltung dieser Art in Deutschland bezeichnet werden. Seit dem Umbruch wurden angesichts der Tatsache, daB sich durchschnittlich jeweils 500 Lehrhausteilnehmer zu be- standiger Jahresarbeit zusammenfinden, am Ende der Winter- semester SchlulBfeiern veranstaltet, um simtlichen Teilnehmern Gelegenheit zu bieten, gemelnsam an einem Riickblick auf die Arbeit des verflossenen Jahres und am Ausblick auf die be- vorstehenden Aufgaben des Lehrhauses teilzunehmen, Das gegenwirtige Sommerhalbiahr steht unter neuen Zeichen'. Die jiidischen Schulklassen und ihr Ergdinzungsunter- richt waren nicht ohne EinfluB auf die Gestaltung des Lehr- *sraelitistnhes ia;eL *Ai 1 c,1 4 Seite Tntn~t~li)i~rhPf _ _ Seite 26 Israelitisches Geineincleblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 houses. Schiilerkurse ffir Iwrith und Englisch gingen.teilweise ein, neue franzisische Schfilerkurse sowie andere zusitzliche Ficher von Fortbildungskursen wurden in das Lehrhaus auf- genommen. Die Einheitlichkcit unseres Lehrplanes mit dem der Fortbildungsklassen in den jiidischen und sprachlich-hi- storischen Fachern verheiBt eine ersprieBliche Zusammen- arbeit der beiden Institutionen. Die Zusammenhainge des Lehrhauses mit auBergemeind- lichen Instanzen erstrecken sich auf den Verkehr mit anderen Lehrhausern, auf das Bildungsamt des Oberrats und nicht zuletzt auf die Mittelstelle ffir Erwachsenenbildung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland. Lerngemeirn- schaften, die der Oberrat in Striimpfelbrunn und Diirrheim in Verbindung mit der Mittelstelle veranstaltete, fiihrten zum pers6nlichen Konnex zu den beiden bezeichneten Stellen. Die- ser gelangte zu besonders sichtbarem Ausdruck mit der Lern- gemeinschaft, die anfangs dieses Sommerhalbjahres unser Lehrhaus ffir Lehrer und Leiter von Bfinden Mannheims und Umgebung durchffihrte, der sich kurz darnach in Gemeinsam- keit mit der Zionistischen Ortsgruppe der Jom Iwri anschloB und den Kreis der Beteiligten noch weiter ausdehnte.' Diese beiden padagogischen Darbietungsformen von zentraler jiidi- scher Bedeutung fordern bei aller Innehaltung regelmiBiger Zeitabstande ihre stete Fortfiihrung, die sich das Lehrhaus angelegen sein liBt. Damit schreitet diese Anstalt fiiber die bloBe Registrierung von Zeitbewegungen hinaus. Und die Frage nach unserem Bildungsziel findet in dem Augenblick eine Antwort, in dem wir uns zwischen den Mitchten der Zeit zum sofortigen Ge- stalten vor und fiir Menschen aufgerufen fuihlen: Die Krfifte zum Gestalten strbmen uns aber zu aus unserer Lehre und unserem Volke, und in gliubiger Verantwortung vor der Sen- dung unsere Volkes erheben wir unsere Bildungsaufgabe zur Forderung des Tages. In diesem Geiste vermag das Lehrhaus wieder jene zentrale Bedeutung zu gewinnen, die unsere Vater mit dem Beth hamidrasch verknfipften und es als Stfitte des Segens zu preisen gewohnt warren. Unter diesen Zeichen wollen wir in die Zukunft bauen. Dr. Samuel Billigheimer. Das Gemeindeblatt ,,Als ein Werbemittel wurde dieses Gemeindeblatt ge- schaffen. Es soil die Verbindung zwischen den Mitgliedern und der von ihnen selbstgewihlten Leitung inniger gestalten; es soil das Sprachrohr sein, durch welches wir zu den Gemeinde- angeholrigenr und diese zu uns reden kinnen." Diese Worte gab der Synagogenrat in der Grfindungsnummer des Ge- meindeblattes vom 17. September 1922 diesem mit auf den Weg. Bis heute sind diese Worte fiir die Arbeit des Gemeinde- blattes richtunggebend geblieben. Das Gemeindeblatt soll eine Form der Verbindung der Gemeindemitglieder untereinander und insbesondere der Gemeindeverwaltung mit den Gemeinde- mitgliedern darstellen. Wie sehr dies der Fall ist, erleben wir, wenn wir die alten Jahrgiinge des Gemeindeblattes durchbat- tern. Es spiegelt sich wider in ihnen die Chronik des Ge- meindelebens mit ihrem Kommen und Gehen von Persdnlich- keiten und Eirichtungen. Die Fiihrung des Gemeindeblattes kann sich aber nicht nur darauf beschranken, die Vorgange in der Gemeinde zu registrieren, sondern muB sich selbst immer mit den neuen Fragen und Aufgaben, die in den Kreis der jiidischen Gemeinrschaft eintreten, befassen und sich mit ihnen auseinandersetzen. So hat das Gemeindeblatt in der Zeit, in der es darauf ankam, in der Gemeinde einen frucht- baren Boden ffir die immer wichtiger werdende Jugendarbeit zu schaffen, eine Jugendspalte eingefhfirt, die der Jugend und ihrer Ffihrunig Platz zur Aussprache und Gelegenheit zu einer Fiihlung mit der damals noch fernstehenden Elternschaft gab. Was die Ausgestaltung des allgemein redaktionellen Teiles anlangt, so k6nnen wir feststellen, daB bis zum Jahre 1933 Themata religids-geschichtlichen und familiengeschichtlichen Inhalts sich besonderer Pflege erfre.uten. Hierin muBte eine Aenderung eintreten, als mit dem Umbruch des Jahres 1933 ganz neue und erweiterte Anforderungen an das Gemeinde- blatt herantraten. In dem MaBe, als heute das Aufgabengebiet der jiidischen Gemeinschaft sich weit fiber das einer bloBen Religionsgemeinschaft erweitert hat, muB dies im Inhalt des Gemeindeblattes zum Ausdruck kommen. So treten neben die Er6rterung reJigidser und geschichtlicher Themata Fragen der jiidischen Auswanderung, der Berufsausbildung und -Um- schichtung, der Wirtschaftshilfe und Wohlfahrtspflege; Raum muB gegeben werden der Behandlung kultureller und pada- gogischer Fragen. Aber die Auswirkungen des Geschehens der letzten Jahre ersch6pfen sich nicht in der iuBerlich sichtbaren Erweiterung und Verlagerung der gemeindlichen Aufgaben. Vielmehr ist bei den Gemeindemitgliedern selbst ein stirkeres Gefiihl der Zusammengehdrigkeit untereinander und ein Aufgeschlossen- sein ffir das Schicksal der anderen Juden innerhalb und auBer- halb Deutschlands entstanden. Das Interesse des Gemeinde- blattlesers beschrdinkt sich nicht mehr auf bl.oBe Lokalnach- richten; er will unterrichtet sein fiber das, was auBerhalb vorgeht, fiber das jifidische Aufbauwerk in Paldistina sowie fiber das Leben der Juden in anderen Liindern, fiber jiidische Per- sdnlichkeiten und wichtige Geschehnisse in der ganzen Welt. Wie einerseits das Gemeindeblatt bestrebt ist, im Rahmen des M6glichen seine Leser dariiber zu unterrichten, was bei den Juden drauBen in der Welt vorgeht, so hat es andiererseits den Wunsch, den Menschen, die aus dieser Gemeinde in den letzten Jahren in die Welt hinausgezogen sind, die M!glichkeit zu geben, eine stete Ffihlung mit ihrer alten Heimat aufrecht- zuerhalten. In den Dienst dieser Aufgabe hat sich ja grade auch diese Nummer des Gemeindeblattes gestellt. Wir glau- ben, daB dieses Ziel im allgemeinen erreicht wird, wenn das Gemeindeblatt an Verwandte und Freunde hinausgeschickt und von diesel gelesen wird. Eine besonders schine Bestatigung dieser Bindung ist es aber, wenn frfihere Gemeindemitglieder in ihrem sicherlich nie leichten Lebenskampf Zeit ffir uns finden und uns fiber ihr jetziges Leben und ihre neue Heimat be- richten. Entgegen dem Prinzip dieser Nummer, keine Einzel- persdnlichkeiten zu nennen, sei es der Schriftleitung gestattet, an dieser Stelle Professor Dr. M o s e s daffir Dank zu sagen, daB er in seinen regelmdBigen und packenden Berichten aus Erez Israel, die verdienten, gesondert gesammelt zu werden, das Land in seinen schweren und schinen Seiten uns nahe bringt. Im Hinblick auf die Erweiterung des Aufgabengebietes, sowie zur Ermogliichung einer kurzfristigeren Ankfin- digung und Berichterstattung der Veranstaltungen innerhalb der Gemeinde, hat sich der Synagogenrat als Verlag des Ge- meindeblattes seit Februar 1934 dazu entschlossen, dasselbe zweimal momatlich erscheinen zu lassen. Noch eine neue Aufgabe erwuchs dem Gemeindeblatt. Seit 1933 sind eine Anzahl schriftstellerisch titiger Menschen aus ihren bisherigen Wirkungsgebieten ausgeschieden; ihnen muB jetzt die M6glichkeit einer Mitwirkung in jiidischen Zeitschrif- ten geboten werden. All dies hat zur Folge, daB das Gemeindeblatt eine Zwi- schenstellung einnimmt zwischen einem Nachrichtenblatt und einer Zeitung. Hat es diese doppelte Funktion schon seit seiner Griindung zu erffillen versucht, so muB dies heute noch in weit stirkerem MaBe der Fall sein.Diese Form aufrechtzuer- halten, rechtfertigt sich nicht zuletzt aus der Ueberlegung, daB viele Gemeindemitglieder nicht in der Lage sind, eine der groBen jiidischen Zeitungen zu abonnieren und in dem Ge- meindeblatt die einzige Beziehung zu dem Geschehen inner- halb der jiidischen Gemeinschaft haben. Diese Erkenntnis ver- pflichtet und wir hoffen, daB das Gemeindeblatt noch lange seinen Bestand in der jetzigen Gestalt bewahren kann. Dr. Franz-Ludwig Auerbach. Seite 26 Israelitisches Gemei:ndeblatt 14. Jahrgang / Nummer 17 14;JargngI umer17Isaeitichs eminebat Sit 2 Zusammenarbeit der Gemeinde mit selbstaindigen Organisationen Die charitativen Vereine Der Ausgangspunkt der jiidischen Sozialarbeit in Deutsch- land war die religios und religionsgesetzlich begriindete free pers6nliche Hilfe. Ihre Zusammenfassung und ihre Vereinheit- lichung erfuhr sie durch- die Gruppierung von Menschen um ein bestimmtes, als soziale Notwendigkeit anerkanntes Ziel, dem die gleichzeitige Absicht zugrunde lag, die Hilfe kollektiv und daher wirksamer und unpers6nlicher zu gestalten. Die Bildung von charitativen Vereinen im Laufe des letzten Jahrhunderts fiAllt zusammen mit der kapitalistisch sich entwickelnden Wirt- schaft und den dadurch bedingten neuartigen Erscheinungs- formen von Notstainden, die auch die kommunalen Verwaltun- gen zu SozialmaBnahmen von grbBerem AusmaB erstmals ver- anlaBte. So wird der Verein mit charitativem Zweck zum Un- terbau fiir die Zentralisierung der Wohlfahrtspflege, wie wir sie im Laufe der letzten beiden Jalhrzehnte sich entwickeln sehen. Die Vereine waren es, die die ersten organisch durch- dachten Fu:'ktionen der freien jiidischen Wohlfahrtspflege uibernommen und durchgefiihrt haben. Je alter und festgeffig- ter die Tradition einer Gemeinde, desto deutlicher zeichnen sich ihre Gemeinschaftstendenzen in der in ihr geleisteten Vereinsarbeit ab, die sich in der Pflege des Wohls der Ge- meindemitglieder vollzogen. Fiir die jfidische Sozialstruktur ist es entwicklungsge- schichtlich ungemein inferessant, die Vereinsarbeit inhaltlich zu betrachten. Sie geht fast ausschlieBlich von der Erkenntnis und dem Beseitigungsversuch von Notstainden aus, die nach auBen deutlich werden, was fur die hochkapitalistische Epoche bezeichnend ist. Krankheit und wirtschaftliche Not sind die sozialen Erscheinungsformen, um deren Bekiimpfung sich die Vereinsarbeit in erster Linie bemiiht, wahrend die Erkenntn's der tiefer liegenden sozialen Schidigungen in der Zielsetzung der Vereine kaum zum Ausdruck kommen. Erst in den spateren Vereinsgriindungen beobachten wir Tendenzen wie Vorbeu- gung und Produktivierung. Von der Arbeit der charitativen Vereine in unserer jiidi- schen Gemeinde kann gesagt werden, daB sie in erstaunlicher Vielgestaltigkeit die auftauchenden Notstande beantwortet und sich mit starkem Einfiihlungsverm6gen den sozialen Bedfirf- nissen angepaBt hat. Bringen wir die Ziele der Mannheimer Vereinsarbeit mit den Notstdipden in eine Parallele, so ergibt sich folgende kurze und umri8hafte Darstellung dieses weitverzweigte.n Gebietes: Die Kinderstube Photo Arbeitsgemeinschaft Der Bekiimpfung wirtschaftlicher Notstiinde widmen sich: Die jiidische Mittelstandshilfe, die dem in Not ge, ratenen Mittelstand durch laufende monatliche Zuwendungen Existenz- mittel garantieren will. Der Verein zur Speisung israelitischer Bediirftiger, der sich die Abgabe von Mahlzeiten an Notleidende zur Aufgabe macht. Der Verein zur Unterstiitzung ortsfremder Armen, der die gleichzeitige Geschiftsfiihrung der Zentralstelle der judischen Wanderfiirsorge fiir Baden und Pfalz mit iibernommen hat und die Vers sorgung der durchwandernden Bediirftigen in vollem Umfange durch, fuiihrt. Der Verein zur Beschaffung von Brennmaterialien, der die Aufgabe hat, bediirftige Familien mit dem notwendigen Winters vorrat an Kohlen und Holz zu versorgen. Der Verein zur Beschaffung von Mazzen, dessen AufG gabe durch das Ritual des PessachsFestes festgelegt ist und in der Zu, wendung von Lebensmitteln und Mazzen an Bediirftige besteht. Der Verein fur Midchenausstattung, der den Zweck ver, folgt, jiidischen Midchen die Anschaffungen ihrer Ausstattung zu ers leichtern. Der FriedmannvVerein, der im Todesfall Schiwah-Beis hilfen und Zuschiisse zur Beschaffung von Grabsteinen gewahrt. Eine ganz besondere und umfangreiche Forderung erfahrt das Gebiet der Gesundheitsfiirsorge durch eine gut ausgebaute Vereinstatigkeit. In Mannheim wird die Gesundheitsffirsorge der Gemeinde fast lftckenlos durch die daffir vorhandenen Vereine finanziert. Der Krankenunterstiitzungsverein iibernimmt im Be% diirftigkeitsfall die monatlichen Krankenkassenbeitrige in solchen Fillen, wo iirztliche Behandlung und Medikamentengewahrung auf andere Weise nicht garantiert sind. Er bezuschuBt pauschal die Kinder- erholungsfiirsorge und finanziert voll die notwendigen Heilkuren fiir Erwachsene. Er tritt ein, wenn durch Krankheit hohe Aufwendungen entstehen, die von den Bediirftigen nicht bestritten werden kinnen, vor allem fiir die Beschaffung von Zahnersatz und sonstigen kosto spieligen Heilmitteln. Der Verein ,,Bikur Cholim" teilt sich mit dem Krankens unterstiitzungsverein in das Aufgabengebiet der Gesundheitsfiirsorge insofern, als er Sonderbeihilfen zum Lebensunt:rhalt und zur Ers nihrungserginzung im Krankheitsfalle laufend und einmalig gewahrt. Der israelitische Frauenverein, dessen Titigkeit noch in anderem Zusammenhang erwahnt werden muB, hilft im Krankheits- fall durch pers5nliche Betreuung. Die jiidische Frauenvereinigung macht es sich neben ihren sonstigen Arbeitsgebieten zur Aufgabe, im Falle der Geburt Entbindungsbeihilfen an Wbchnerinnen zu gewihren. Die Darstellung des Arbeitsgebletes der jiidischen Frauen- vereinigung fiihrt gleichzeitig hinfiber zu den 14." Jahrgarig / Nummer 17* Israeli tisches Gemeindeblatt Seite 27 Seite 28 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jalirgang I Nuxnmer 17 Padagogischen Fiirsorgegebieten, die durch die jiidische Vereinsarbeit in unserer Gemeinde wahrgenommen worden sind. Die jiidische Frauenvereinigung ist neben dem oben Geschilderten Triigerin der uiidischen Kinderstube und des Kinderhortes. Sie sieht als Ziel die erzieherische und korperliche Betreuung der bedUrf. tigen Jugend vom Kindergartenalter bis zum AbschluB der Schule pflicht. Sie will der heranwachsenden Jugend durch Spiel, Sport, Bildungswerte jiidischer und allgemeiner Art, Erniihrung und Kbrper, pflege seelische Inhalte und korperliche Forderung vermitteln, die das Elternhaus, sehr oft begriindet durch die wirtschaftliche Lage, nicht bieten kann. Die Frauenvereinigung erginzt die Arbeit der Kinder- stube insofern, als sie durch den von ihr geschaffenen Nihzirkel fiir die Bekleidung der ihr anvertrauten Kinder sorgt. Der israe 1. Wa isenverein ist Triger des Waisenhauses, das Kinder beiderlei Geschlechts im schulpflichtigen Alter in voile Vert sorgung aufnimmt. Sein Ziel ist es, Jugendlichen, die aus irgendo welchen Griinden auBerhalb des Elternhauses versorgt werden miissen, das Heim in vollem Ausmag zu ersetzen. DaB beide padagogischen Institution en, Kinderstube.-Kinderhort und Waisenhaus, mit ihren verse antwortungsvollen Aufgaben trotz der Schwere der Zeit heute noch fast ausschlieBlich aus Vereins- und private Spendemittein finanziert werden, ist eine Leistung von fundamentaler Bedeutung, die nicht nur der inhaltlichen Werbekraft der Arbeit, sondern auch der Initiative ihrer verantwortlichen Leitung zu danken ist. Die Arbeit des Vereins zur Forderung des Handwerks beschlieBt die Reihe der Vereins-Institutionen, die sich paidagogischen Aufgaben widmen. Sein Tatigkeitsgebiet gehbrt zu den aktuellsten Aufgaben, die uns heute gestellt sind: Handwerkliche Ausbildung und die Beschaffung der dazu notwendigen Mittel. Er stellt so eine wertvolle Erginzung der umfangreichen MaBnahmen dar, die durch die Wirtschaftshil e der Gemeinde auf dem Gebiet der Berufs, umschichtung und Berufsausbildung durchgefiihrt werden miissen. Das Bild der charitativen Vereinsarbeit in unserer Gemeinde muB noch ergainzt werden durch die Fixierung der Titigkeit des bad. Landesverbands des jiid. Frauenbunds, der erst seit kurzem besteht und seinen Sitz in Mannheim hat und durch die Aro beit des isr. Frauenvereins. Die Aufgabengebiete beider Vereine lassen sich nicht voll in die Sozialarbeit einbeziehen, well ihre Ziele nicht nur fiirsorgerisch bestimmt sind. Der israelitische Frauenverein iibt die religibsen Pflichten beim Hinscheiden weiblicher Gemeindemitglieder aus und betrachtet dies als sein Hauptaufgabengebiet. Der jiidische Frauenbund, seit dem Jahre 1904 durch den ZusammenschluB jiidischer Frauenvereine gegriindet, ist eine Dachorganisation. Als seine Arbeitsgebiete bezeichnet er ,,die WVege und Ziele sozialer Hilfstitigkeit, der Volkserziehung, der F6rderung des Erwerbslebens jiidischer Frauen und Midchen, der Erweckung des Interesses an allgemeinen jiidischen Bestrebungen der Gegenwart und Stirkung des jiidischen Gemeinschaftsbewuf3tseins." In Mannheim hat sich der Frauenbund einer sehr aktuellen Aufgabe gewidmet, der ,,jiiu dischen Hauspflege," die schon in der kurzen Zeit ihres Bestehens segensreich wirkt. Zentralisierung der Vereinsarbeit. Gerade die Darstellung dieser weitverzweigten Vereins- arbeit zeigt die Notwendigkeit der Zusammenfassung aller Krdifte und Mittel durch eine gemeindliche zentrale Stelle: das Wohlfahrtsamt. Es muB an dieser Stelle gesagt werden, daB die Mannheimer Vereine ein besonderes Organ und ein be- sonderes Verstindnis fUr solche Vereinheitlichung und Zu- sammenfassung seit Bestehen des Amtes bewiesen haben. Es gibt in unserer Gemeinde keinen charitativen Verein, der seine Arbeit nicht restlos in das groBe zentrale Geffige eingeordnet hitte aus eigener Einsicht, aus letter Verantwortlichkeit. Alle Vereine haben ihre Arbeit so gestaltet, daB ein Nebeneinander und Gegeneinander v6llig vermieden ist, daB sie sich gegen- seitig erglinzen und daB die zentrale Stelle fiir die inhaltliche Seite der Ffirsorge bestimmend ist. Ein Teil der Vereine hat die Durchffihrung- seiner Aufgaben in die Hainde des Wohl- fahrtsamtes gelegt und ist nur finanzieller Trtiger seines Auf- gabengebietes geblieben. So kinnen wir in unserer Gemeinde von einer beruflich gefiihrten, aber ehrenamtlich und ver- einsmBiig erganzten Wohlfahrtspflege sprechen. Es verbinden sich Verwaltung und Systematik mit der pers6nlichen Hilfe des Einzelnen und der kollektiven Mitarbeit der Vereine zu einem durchorganisierten Bau, dessen Tragfahigkeit sich jetzt zu bewaihren hat. Mia Neter. Gemeinde und August-Lameys-Loge Die Entwicklung hatte die jildischen GroBgemeinden gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts mehr und mehr zu einem Organ der Verwaltung herabsinken lassen. Die Pflege der kulturellen und sittlichen Gilter, die Wohlfahrtspflege, selbst die Erziehung zum jiidischen BewuBtsein war dem Aufgaben- kreis private Organisationen anheimgestellt. Es versagte die von der Zentrale ausgehende Kraft, den jiidischen Menschen ideenmiilig zu erfassen, seinen Willen zur Gemeinschaft zu erhalten und zu festigen, ihn seines Judentums froh werden zu lassen. Die Folgen blieben nicht aus: Der Jiidische GroB- stadtmensch konnte vielfach den Verlockungen nicht wider- stehen, die ihm eine glanzende Kulturentfaltung der Umwelt bot, er tauschte die Chance wahrer innerer Grbole und Frei- heit gegen die gesellschaftlichen und materiellen Aufstiegs -- und wandte dem Judentum den Rficken.' In solcher Atmosphire erwuchs der Orden der ,,B e n e b e r i t h" und schuf in Mannheim vor nunmehr 40 Jahren die August-Lamey-Loge. Neben der Pflege der Bruder- liebe und Eintracht verpflichteten sich ihre Mitglieder zu un- bedingter Treue zum Judentum. Sie fibernahmen ferner die Pflicht, auch ihre Kinder der Gemeinschaft zu erhalten. Ein VerstoB gegen diesen Auftrag hitte den AusschluB aus der Logo zur Folge gehabt. Da die Logengedanken sehr bald von einem groBen Kreis jildischer Manner in Mannheim erfaBt wurde, die Loge erstarkte und schon nach kurzer Zeit ihres Bestehens die besten Krifte geistigen, gesellschaftlichen und kommerziellen Lebens an sich zog und zeitlebens festhielt, so konnte sie sich zu einer Pflegestitte jiidischen Gedanken- guts entfalten und besaB zugleich die iuBlere Mfglichkeit, im Sinne jidischer Tradition die Einrichtungen zu schaffen, die die Stunde erforderte und von hier aus einen Teil der Liicken in der Gemeinde zu schlieBen, die durch die allzu hastige Ent- wicklung zur Gro8gemeinde entstehen mulBten. Die Loge hat niemals in die Diskussion fiber Dinge ein- gegriffen, mit denen sich die Fihrung der Gemeinde beschaf- tigte. Sie stand auch abseits der Auseinandersetzungen, die zeitweise oft zum Schaden des Gemeinschaftsgeffihls -- von den jiidisch-politischen Parteien und religibsen Richtun- gen gegeneinander geffihrt wurden. Aber die Loge hatte jederzeit ein feines Organ fiir die Bedfirfnisse der Zeit und ihre geistigen Str6mungen, und sie forderte ihre Mitglieder geradezu auf, Stellung zu nehmen zu allen aktuellen Fragen und Vorgangen innerhalb der jiidischen Gemeinschaft. Sie lieB die Dinge beleuchten durch flihrende Personlichkeiten der verschiedensten Lager, um so den Briidern ein m6glichst ob- jektives Gesamtbild der Situationen zu vermitteln und sie zu eigenem Urteil und zu praktischer Aktivitit zu filihren. In der Loge saBen vielfach die Miinner beieinander, die drauBen sich entgegenstanden, hier vereint durch die groBere Idee, daB letzten Endes alles ehrliche Streben emporfhiirt und das Nicht- verstehen oft in menschlicher Schwdiche wurzelt. Hier muBten sie in Ruhe, losgelist von jeder Leidenschaft, die Auffassung des Andersdenkenden entgegennehmen, sie muBten seiner Ueberzeugung denselben Respekt entgegenbringen, den sie von ihm flir die eigene Ueberzeugung forderten. Der Kampf um die Idee muBte Halt machen vor der Pers6nlichkeit. So hat zweifellos die Loge starken Anteil daran, daB in Mannheim die Auseinandersetzungen zwischen Parteien und Richtungen, aber auch die Diskussionen innerhalb der Gremien der Ge- meindeverwaltung und -Fiihrung stets auf dem Niveau des Sachlichen geffihrt werden konnten und nicht in die streit- baren Formen verfielen, wie sie andrerorts vielfach zu beob- achten waren. Ihre Hauptentfaltung zeigte die Loge indes in der Schaf- fung von Einrichtungen, die einem fiihlbaren Bedfirfnis der Zeit entsprachen und flr die ihinliche Einrichtungen bisher nicht vorhanden waren. Getreu ihrer Devise: ,,Nichts fir uns, alles flir andere", verwendete die Loge den Hauptteil ihrer materiel- len Kraft flir den Dienst am Ndichsten. Sie schuf um die Jahr- hundertwende den K naben- und Mi dchenhor t, wel- 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 28 14. Jahrgang I Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 29 cher Kinder im schulpflichtigen Alter wdhrend der schulfreien Zeit aufnahm, sie speiste, sie unter Aufsicht vor Lehrern und Hortleiterinnen zur ordnungrmiBigen Fertigung der Schulauf- gaben erzog, sie bietreute in allen Bediirfnissen des tiglichen Lebens; da die Erfassung der Pers6nlichkeit des Kindes die Kenntnis des hiuslichen Milieus voraussetzt, wurden zugleich die Familien der Kinder von den Mitgliedern des Schwestern- bundes ,,Caritas" im einzelnen besucht, ffir Kleidung gesorgt und den pers6nlichen Bedlirfiissen der Kinder und der Fa- milien Rechnung getragen. Diese Fiirsorge ffihrte schlieBlich zur Vermittlung einer geeigneten Lehrstelle nach Schulentlas- sung; wdihrend der Lehrzeit stand die Loge beratend und helfend zur Seite. Der Verband der jiidischen Krankenschwe- s t e r n ist eine Sch6pfung der Loge, ffir den diese noch bis heute einen namhaften Beitrag leistet. Die Jfidische Stellenvermittlung wurde von der Loge bereits vor 38 Jahren geschaffen und in Gemein- schaft mit der judischen Frauenvereinigung bis heute von ihr geffihrt. Fiir die Erfassung der notleidenden Familien und den Ver- such, ihnen durch Arbeitsvermittlung Brot und Hilfe zu schaf- fen, hat sich der S o z i a e AusschuB eingesetzt. Durch regelmiBige Hausbesuche wurde versucht, die Fiihlung mit den Familien zu erhalten, ihre N6'te festzustellen und Wege der Hilfe zu finden. Besonders die jildischen Feiertage wurden zum AnlaB genommen, Spenden zu verteilen, fehlende Stiicke an Wdische und Kleidung zu erginzen. Gemeinsam begangene Feiern des Chanukkafestes zeichneten sich besonders freud- voll aus. Dartiber hinaus lenkte dieser AusschuB den Blick der Loge auf die Hilfsbedfiirftigkeit zahlreicher jildischer Institute, Heil- und Pflegeanstalten, Ausbildungsstitten der jildischen Jugend, er fibernahm die Fiirsorge ffir Kriegswaisen his zu ihrem 16. Lebensjahre, er schuf Ferienkolonien, er ermoglichte begabten Menschen das Studium. Die zeitlich jfingste Sch5pfung der Loge ist die J i d i - sche Mittelstandshilfe, die sich um die Sorge der- jenigen Schicht unserer Bevolkerung kfimmert, die einstmals zu den Gebenden gehorte, durch Krieg und Inflation allies ver- loren hat und doch nicht imstande ist, den Weg zur bffent- lichen Ffiirsorge zu gehen. Manche dieser Institutionen der Loge ist heute fiberholt, da die Gemeinde selbst mit klarer Zielsetzung entsprechende Einrichtungen schuf, inzwischen ein eigenes Wohlfahrtsamt grfindete, das mit geschulten Krdiften und zeitgemdiBen Me- thoden die Wohlfahrtspflege betreibt. Neidlos und freudig hat die Loge manches ihrer Arbeitszebiete an die Gemeinde ab- gegeben und ihr Brilder und Schwestern mit Erfahrung und Sachkenntnis zur Verffigung gestellt. Geblieben indes ist der Loge noch ein groBes MaB an Aufgaben, das tdiglich wichst in solch schicksalshafter Zeit. Karl Stiefel. Ueber die Organisationen Eine Schilderung des Lebens der jfidischen Vereine in Mannheim mit jiidisch politischem, wirtschaftlichem oder religiosem Einschlag stoBlt deshalb auf Schwierigkeit, weil ein groBer Teil ihrer Tditigkeit sich nicht durch markante Taten abhebt, sondern viel Kleinarbeit oft aufopferungsvolle Klein- arbeit ist. Es fiberwiegt nicht selten die praktische Einzel- handlung, ohne daB man immer die Verbindung mit der der Vereinigung zugrundeliegenden Idee finden kann. Diese Ideen herauszuarbeiten, ist auch nicht der Zweck dieser kurzen Zu- sammenstellung, die in erster Linie nur die 6rtlichen speziellen Verhdiltnisse schildern und historisch orientiert sein soil. Wir beginnen bei unserer Aufzdihlung mit einer Vereini- gung, die deshalb besonders bemerkenswert ist, weil sie eine rein lokale Einrichtung ist; sie hat den Versuch unternommen, fiber die religios-politischen Richtungen und Stromungen hin- aus alle Gemeindebfirger des jiidischen Mannheims zu erfas- sen, um sie an der Gemeindearbeit zu interessieren. Die im Jahre 1929 gegriindete Gemeindevereinigung will das Spiegelbild der Gemeinde selbst sein, unbeschwert von der Bindung an eine Oberorganisation, an eine Partei oder Weltanschauung; das Gesamtinteresse der Gemeinde Mann- heim zu wahren, ist ihr Ziel. Bei den Wahlen im Herbst 1929 zu. den Gemeindeinstanzen wurden zwei. Synagogenrite und 12 Gemeindevertreter, die von der Gemeindevereinigung auf- gestellt waren, gewdihlt, unabhbingige Vertreter, da die Ge- meindevereinigung von jedem Fraktionszwang Abstand nimmt. Ihr Wollen, in den Geme.indeinstanzen fur einen Ausgleich der Gegensitze zu sorgen und die Entwicklung der Gemeinde im positiv-jiidischen Sinn zu beeinflussen, hat ihr Erfolge ein- gebracht. Die Zukunft der Vereinigung bei einer etwaigen Neu- gestaltung der Instanzen der Kultusgemeinde kann aber nicht vorausgesagt werden, da die Ereignisse seit 1933 eine tiefe Umwandlung alles Gewesenen auch hier mit sich gebracht haben. Die weiter in dieser Zusammenfassung aufgeffihrten Ver- eine sind nur Ortsgruppen von Vereinigungen, die sich fiber das Reichsgebiet erstrecken. Der Verein selbstdindiger jfidischer Hand- werker und Gewerbetreibender Mannheim IiBlt sich dem Gedanken der politisch oder religi6s gerichteten Vereine nicht einordnen, da er eine reine Interessenvertre- tung darstellt, nur bestimmte Berufskreise erfalt und erfassen will. Im Jahre 1914 mit 20 Mitgliedern gegriindet, ist die Mit- gliederzahl nach 1933 bis auf 156 angewachsen. Der derzeitige Mitgliederbestand betrigt 120. Oberorganisation ist der Zen- tralverband jildischer Handwerker und Gewerbetreibender in Berlin. Seit 1933 unterhilt der Verein in Mannheim eine be- sondere Geschaftsstelle, die sowohl das Gesamtinteresse der zusammengeschlossenen Berufsgruppen, wie die Einzelinter- essen der Mannheimer Mitgiieder im Verkehr mit der Um- welt wahrnimmt, ihre Mitglieder wirtschaftlich berdit und be- treut und die Verbindung mit der Berliner Zentrale besorgt. Der Verein bemflht sich mit Hilfe seiner Zentrale, dem hand- werklichen jiidischen Nachwuchs, der in Deutschland nicht mehr untergebracht werden kann, im Ausland neue Betditi- gungsm6glichkeiten zu eriffnen. Der Reichsbund jfidischer Frontsoldaten unterhalt seit 1919 hier eine Ortsgruppe. die sich aus einer An- fangsmitgliederzahl von 180 bis zu 550 Miticern entwickelt hatte und heute noch ohne Sportgruppe 410 M Pieder zihlt. Der Bund, der sich die Zusammenfassung der eLeiiWgen jildi- schen Frontkdimpfer zum Ziel ge!etzt hat, ist seit 1933 die offizielle Vertretung fur alle uid schlen Kries.:.pfcr-Ifinterblie- benen gegenilber Behdrden ohne Riicksicht auf die Mitgl:ed- schaft beim Reichsbund. Fir Mannheim hat die M..:riheimiier Ortsgruppe die Betreuung dieses Personenkreises fibernom- men. Darfiber hinaus uiinttcritui' sie biedurii ze Kriegsteil- nehmer, pflegt die Kameradschaft aller Froii'kiiiipier und hat in den Jahren 1934 und 1935 mit Erfolg einen Austausch von Ferienkindern vorgenommen. In den Gemeindeinstanzen ist der Reichsbund jildischer Frontsoldaten nicht unmittelbar ver- treten, doch sind Frontkimpfer in fast i'en Frnakionein der Gemeindevertretung vertreten. Der Umbruch des Jahres 1933 hat eine teilweise Aende- rung des Arbeitsgebiets des Central Verei n s mit sich gebracht, der seit langen Jahren (1S93) in M:innheiii durch eine Ortsgruppe, die dem Landesverband Baden unterstellt ist, vertreten ist. Wie die Zentrale bezweckt auch die hiesige Ortsgruppe die Pflege des jifdischen Lebens, sowie die see- lische, rechtliche und wirtschaftliche Betreuung der in Deutsch- land leblenden Juden. Der Central-Verein Manii~kiim widmet sich seit 1933 in verstirktem Ma8e der Berattiun auf juristi- schem, wirtschaftlichem Gebiet und stellt Spezialsachbearbei- ter und -berater fuir die verschiedenen Berufskategorien zur 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 29 Israelitisches Gemeindeblatt Verfiigung. 1933 wurde eine besondere Beratungsstelle der Aerzte und sonstiger freier Berufe eingerichtet. Ueber die Mitgliederbewegung sind mir keine Zahlen zur Verfilgung ge- stellt worden, doch ist die Ortsgruppe zweifellos eine der stdirksten Vereine hier. Eine Fraktion in der Gemeindevertre- tung hat der Central-Verein in Mannheim nicht. Durch Vor- trage, Kundgebungen usw. hat der Verein das jlidische Ge- meindeleben in vielfacher Weise befruchtet. Die folgenden vier Organisat'onen haben gemeinsam, daBl sie in der Gemeindevertretung und im Synagogenrat durch offizielle Vertretung unmittelbar EinfluB nehmen und ihre Mit- glieder im Jahre 1929 zur Wahl stellten. So wurde aus der im Jahre 1908 gegriindeten ii d i - schen religibs-liberalen Vereinigung Mann- heim, die urspriinglich e-ne Wahlvereinigung war, im Laufe der Zeit und durch die Ereignisse im Jahre 1933 bedingt, eine bestimmte Kulturrichtung. Sie ist eine Untergruppe der Ver- e'nigung fir das religios-liberale Judentum e. V. in Berlin und zihlt heute 210 Mitglieder, hat 5 Synagogenratssitze und 17 Sitze in der Gemeindevertretung inne. Sie will das jiidische Gemeindeleben und dessen Ausbau auf religios-liberaler und sozialer Grundlage vertiefen, in diesem Sinne die Jugend er- ziehen und das Interesse weitester Kreise ffir jiidische Fragen wecken und pflegen; so hat sie in Mannheim ffir die Einfiihrung des Schawuot- und des Hoschano-Rabba-Lernens im religi0- sen liberalen Kreise gesorgt. Durch Vortrage, Aufsitze in dem Gemeinde.blatt und in sonstiger Weise erzieht die religi6s- liberale Vereinigung ihre Mitglieder zu ihren Ideen. Wenige Jahre nach dem ersten Zionisten-,KongreB in Basel wurde im Jahre 1899 eine Ortsgruppe der Zionisti- schen Vereinigung ffir Deutschland in Mann- heim gegriindet. Aus kleinen Anfangen (Griindungsmitglieder- zahl 25) und teilweise unter schweren Kimpfen hat die hiesige Ortsgruppe ihre Ideen in die jiidische Bevilkerung Mannheims getragen. Sie zlihlt heute 375 Mitglieder, ohne die ihr ange- schlossenen Untergruppen, d'e Junggruppe der Zionistischen Ortsgruppe, Hechaluz und Bachad. Mit groBer Rfihrigkeit und Eindringlichkeit wirbt die Zionistische Ortsgruppe in Mann- heim bei Erwachsenen und Jugendlichen fur die Erfiillung des Basler Programms. Die Arbeit wird ergdnzt durch die Wer- bung fur die nationalen Fonds, den Keren Hajessod und den Keren Kajemeth und fur das Erlernen der hebraischen Sprache. Die Gemeindearbeit wurde nicht vernachlissigt. Die zionisti- schen Gedankengdinge werden zurzeit durch 3 Synagogenrite und 6 Gemeindevertreter vertreten. Die sttirkste gesetzestreue Organisation in Mannheim ist die Mitgliedergruppe des Vereins zur Wahrung der Interessen des gesetzestreuen Judentums in Baden. Diese Vereinigung entstand 1903, sie tritt far die Werte und Infhalte der Ueberlieferung und des gesetzestreuen Juden- tums eln. Ihre Arbieit geht fiber lokale Verhiltnisse hinaus. Sie will jiidsches Wissen und die Aufrechterhaltung der Thora verwirkrchen. Ueber die Entwicklung des Vereins in Mann- heim liegen keine Zahlen vor. doch hat die sehr akt've Ver- e'nigung immer starken EinfluB auf die Gemeinde ge- nommen; sie ist ebenfalls mal3gebend im Synagogenrat und der Oemeindevertretung vertreten. Bis zu ihrer AuflSsung im Jahre 1933 bestand eine Vereinigung der Ostjuden in Mannheim. die im Jahre 1920 gegriindet wurde. Sie war sowohl als Zweckverband wie auf religi.osem Gebiet tdtig. auf sie ist die Schaffung und vor allem die Unterhaltung des Bet- lokals in F 3 zurtickzufiihren. Auch auf die Gemeindearbeiten hatte die. Vereinigung E;nfluB genommen durch Entsendung von Vertretern in die Gemeindevertretung. Diese Auf- und Zusammenstellung soil ein kleiner Aus- schnitt aus dem Leben jUidischer Vere'ne sein, d'ie auf die Ge- staltung des geistigen, religi6sen, kulturellen und jiidisch-poli- tischen Lebens in Mannheim EinfluB genommen haben. Dr. Wilhelm Buchsweiler. Das kulturelle und gesellige Leben derjiidischen Bevolkerung Mannheims Zur Einfiihrung. Die jiidischen Bevblkerungskreise in Mannheim haben von jeher groBes Interesse fur k u t u r e 11 e Dinge gezeigt. Dieses Interesse going fiber das rein Jiidische hinaus und umfa8te alle Teile des Kulturlebens, das eine Stadt wie Mannheim zu bieten hatte. Ein bedeutender Faktor des Mannheimer Kulturlebens war schon immer ein jiidischer Verein, der ,,Liederkranz", der als Gesangverein mit Konzerten auf chorischem und instru- mentalem Gebiet un'd mit hervorragenden Solisten 'Bedeuten- des bot und der heute die Funktionen eines Kulturbundes in Mannheim fibernommen hat. (Nachstehend wird hierfiber in einem besonderen Artikel berichtet werden.) Die besonders groBe Musikfreudigkeit der jfidischen Be- volkerung in Mannheim hat von jeher ein vielseitiges, leben- diges Musikleben erm6glicht. In vielen Privathausern wurde die Musik so gepflegt, dal es miglich war, im Jahre 1933 ein Orchester ins Leben zu rufen, das sich zum gr3Bten Teil aus den Kreisen dieser Musikliebhaber zusammensetzt, ein leben- diges Zeugnis fiir die hohe Musikkultur, die schon immer unter den Juden Mannheims geherrscht hat. Diese hohe Musikkultur nuBerte sich auch in den Anforderungen an die musikalischen Darbietungen im Gottesdienst. Welche Entwicklung das got- tesdienstliche und das profane Musikleben in Mannheim ge- nommen haben, wird in besonderen Artike'n geschildert werden. Neben dem kulturellen Leben hat das g e s e i g e Leben unter den Juden Mannheims stets eine bedeutsame Rolle ge- spielt. AuBer im Familienkreise fanden sich die jildischen Men- schen in Vereinen zusammen, die dieser Geselligkeit besonders dienten oder auch in den Vereinen, die neben caritativen, ji- disch-politischen oder anderen Aufgaben auch die Geselligkeit pflegten. Das gesellige Leben hat sich auch unter den verdn- derten Umstdnden in gleich hohem oder wachsendem MaBe erhlalten. Als nerue Form geselligen Zusammenseins sind die Nachbarschaftsabende zu nennen, die dazu dienen sollen, Gruppen nachbarlich wohnender jiidischer Menschen far einige Stunden zu vereinen und mit Darbietungen heraus- zuheben aus den Sorgen des Alltags. Diese Nachbarschafts- abende sollen kiinftig in stdirkerem MaBe gepflegt werden Dr. Paul Lussheimer. Liederkranz e. V. (Jiidischer Kulturbund Mannheim) Im Jahre 1856 schlossen sich 33 kunstbegeisterte Minner aus den Reihen des Synagogenchors zusammen, um neben dem synagogalen Gesang auch das weltliche Lied zu pflegen. Dem ersten V o r s t a n d gehorten an David Aberle sen., Louis Oppenheimer, Moritz Dinkelspiel, Samuel Noether und J. Hirschbach. Die bisherigen ersten Vorsitzenden waren David Aberle, Julius Lion, J. Hirschbach, Israel Aberle, Isidor Haas, Her- mann Waldeck und seit 1922 der Unterzeichnete. Die enge Verbindung und Zusammenarbeit mit der Ge- me!nde kommt dadurch zum Ausdrack, daB im Vorstand sich verschiedene Mitglieder des Synagogenrates und der Ge- meindevertretung befinden. Der Liederkranz wurde als Minnergesangverein begriin- det. Seit 7 Jahren hat er einen gemischten Chor, der sich zuletzt bei der glanzvollen Aufffihrung der Hindelschen Oratorien ,,Joseph und seine Brfider" und ,,Saul" bewdihrt hat. Unter den Sdingern und Stingerinnen sind alle Schichten der jildischen Bevolkerung vereinigt. Der Idealismus unseres Seite 30 14. Jahrgang / Nummer 17 g mSeite 31 Chors ist vorhildlich wie die Treue der Ehrenmitglieder, von denen einzelne dem Verein fiber 50 Jahre angeh6ren. Zum gemischten Chor ist das Orchester, die ,,Instrumen- talgemeinschaft", hinzugekommen, deren hervorragende Lei- stungen auch in anderen Stadten anerkannt werden, sowie ein Jugendchor und ein Jugendorchester. Chor und Orchester werden von Kapellmeister Max S i n z h e i m e r geleitet, der gleichzeitig Organist und Diri- gent des Synagogencohors ist. Mit Theaterau ff i hru n g e n ist ein Anfang gemacht worden; auf der Biihne des neuen Hauses sollen sie fortgesetzt werden. Der Verein hat stets die Ge s e lli g k e it gepflegt und den jungen Leuten, die aus der Fremde hierher kamen, Heim und Familie ersetzt. Briefe ausgewanderter Mitglieder be- weisen deren dauernde Anhlinglichkeit und die Dankbarkeit ffir sch6ne Stunden. Der Liederkranz, der jetzt 800 Mitglieder zahlt, hat seit Jahrzehnten an fiihrender Stelle gestanden. Als der Zusam- menschluB der jiidischen Vereinigungen mit kulturellen Zwek- ken erfolgte, iibernahm er die Aufgaben des K u t u r b u n d s. Gerade in den letzten Jahren hat er einem gro'Ben Teil der Gemeinden Mannheim und Ludwigshafen, sowie zahlreichen auswartigen Juden Erbauung, Erholung und Freude bereitet; dieser edlen Sendung wird er treu bleiben. Der Verein will m6glichst viele Veranstaltungen auch den Minderbemittelten und der Jugend zuganglich machen und so der Allgemeinheit dienen. Aufstrebende Begabungen hat er immer gef6rdert. Eine stolze Reihe groBer Ktinstler ist in der V e r e i n s - c h r o n i k unter den Mitwirkenden bei unseren Konzerten verzeichnet. Das Gesellschaftshaus in E 5, 4, das unsere Vater vor mehr als 50 Jahren erbauten, wird jetzt wegen des Plan- kendurchbruchs niedergerissen. Im Hause 0 2, 16, das wir als Ersatz erworben haben, soil die segensreiche Tatigkeit fort- gesetzt und erweitert werden. Unsere herzlichsten Wiinsche gelten unserem neuen Heim. M6ge in ihm immerdar der Geist der Eintracht und selbstlosen Menschenliebe herrschen. M6ge an uns aber sich das Dichterwort verwirklichen: ,,Wohl dem, der seiner Vater gern gedenkt, Der froh von ihren Taten, ihrer Gr6Be Den HSrer unterhalt und, still sich freuend, Ans Ende dieser sch6nen Reihe sich Geschlossen sieht." Dr. Gustav Hecht. Musikalische Aufbauarbeit im Liederkranz (Jiidischer Kulturbund) Mannheim Der ,,Liederkranz" hat im Jahre 1929 mit der Umwand- lung seines Mannerchors in einen gemischten Chor begonnen. Es ist bemerkenswert, daB man zugleich mit der Form auch den Inhalten der Vereinsarbeit eine neue Richtung sich zu geben bemiihte. Die von dem neuen Chor von 150 Sangern und Sangerinnen bewiltigten Aufgaben sprechen fnir das an- gestrebte Ziel:. 1931: Heinrich Schalit, ,,In Ewigkeit" (Hymnus von Je- huda Halevy). 1931: Arthur Honegger, ,,Kbnig David" (Sinfonischer Psalm). 1932: Josef Haydn, ,,Die Sch6pfung". 1933: G. F. Handel, ,,Samson" (Oratorium). Man erkennt die bewuBte Hinwendung zu ernsthafter Aus- einandersetzung mit GroBwerken der klassischen und moder- nen Chormusik, verbunden mit der fuir einen jiidischen Ge- sangverein sinnvollen Wahl biblischer Stoffe. So wird es deut- lich, daB der ,,Liederkranz" wesentliche Voraussetzungen als Trager eines ,,Jiidischen Kulturbundes" mitbrachte. Darfiber hinaus ist in seinem jahrzehntelangen Wirken als Singgemein- schaft ein besonders wertvolles Element der Aktivierung wei- tester musiktreibender Kreise gegeben, das in unserer Zeit des Aufsichselbst-Gestelltseins von nicht zu unterschatzender Be- deutung ist. Die Arbeit der jiidischen Kulturbiinde seit 1933 ist nach zwei nicht leicht zu vereinbarenden Zielen ausgerichtet: dem Publikum Ersatz zu bieten fUr die ihm nicht mehr zuganglichen offentlichen Veranstaltungen eine Aufgabe, die bei den ge- wohnheitsmaBig gestellten hohen Ansprfichen mit den zur Ver- fiigung stehenden Mitteln an ausfibenden Pers6nlichkeiten, Geld und geeigneten Aufffihrungsraumen oft schwer durch- fiihrbar ist. Die Beschaftigung der freigesetzten juidischen Kiinstler be.deutet in diesem Zusammenhang eine besonders wichtige soziale Aufgabe. Andererseits besteht die jtidische Kulturaufgabe nicht nur im ,,Ersatz" des verlorengegangenen, vielfach gesellschaftlich bedingten Veranstaltungslebens, son- dern in der Pflicht zur Herausstellung jiidischer Inhalte, wo solche in giiltiger Form und kiinstlerisch hochwertiger Gestal- tung sich bieten. Die Arbeit der ersten Art kann sich mit R e k la me begnuigen, der jedes Publikum, wenn sie richtig gemacht wird (und halt was sie verspricht), Folge leistet. Die Arbeit der zweiten Art erfordert E r z i e h u n g des Publikums - wenigstens des gro6eren Teiles der gewohnheitsmaBigen Besucher ist also mit persinlichen Anstrengungen verbun- den, macht sich weniger schnell bezahlt, bringt Enttauschun- gen und Fehlschlige mit sich. Unseres Erachtens sind beide Wege zu gehen notwendig; eine geschickte Verwaltung wird den Ausgleich suchen mfis- Generalprobe zu einer OratoriensAuffiihrung 14. Jahrgang / Nummer 17 Israelitisches Gemeindeblatt Seite 31 Photo Tllmann-Matter. Mannheim Seite 32 Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jahrgang I Nummer 17 sen und dem Publikum geben, was des Publikums ist, ohne dabei die Pflicht zu erzieherischer Beeinflussung im Sinne der Pflege jfidischer und fiberhaupt geistig hochstehender Inhalte der Veranstaltungen hintanzusetzen. Selbst auf die Gefahr einer zunachst nicht immer befriedigenden Anteilnahme un- serer Horerschichten hin, die eben mit der Zeit lernen miissen, daB die Arbeit der Kulturblinde nicht nur von den ,,Ausfiihren- den", sondern auch vom Publikum selbst zu listen ist, wenn anders iiberhaupt von Kulturarbeit geredet werden darf! Es leuchtet ein, daB ein Kulturbund wie der:aus dem ,,Lie- derkranz" Mannhelm hervorgewachsene, sein Aufgabengebiet aus dem Bestehenden abgeleitet hat. Das Bestehen des ge- mischten Chores und die Griindung eines leistungsfahigen Orchesters gibt der inneren Arbeit ihre Richtung. Dem steht auf der anderen Seite ein groBstadtisch verwOhntes Publikum gegeniiber, dessen Bediirfnisse stark nach sensationelleren Formen der Darbietungen gerichtet sind. Diesem Publikum gilt es klarzumachen, daB wir mit unserer Kulturarbeit unsere Grenze nicht im ,,Ersatzbieten" finden diirfen; unser Ziel muB vielmehr die Schaffung der jildischen Kultur- gemeinschaft sein, in der sich der Horer genau so als ,,Mitarbeiter" fuhlt,, wie die Ausfiihrenden selbst. Und wer wollte bestreiten, auf diesem Gebiete noch Manches lernen zu k6nnen? Wenn der ,,Liederkranz" seine hohe Aufgabe so versteht, wird er nicht nur bemfiht bleiben, seinen Mitgliedern m6glichst vollendete ,,Leistungen" zu bieten, er wird auch um die Seele der H,6rer werben und versuchen, sie durch unermiidliche Arbeit bereit zu machen fur die Verwirklichung einer jfidi- schen Kulturgemeinschaft. Max Sinzheimer. Das Biindische Leben in Mannheim Als im Jahre 1925 auf Anregung von Rabbiner Dr. Max Griinewald die ,,Jugendgemeinde" gegriindet wurde, bestan- den in Mannheim nur kleine biindische Gruppen (,,Blau-WeiB", ,,Kameraden" u. a.). Sie alle waren aus der Jugendbewegung hervorgegangen, aber bereits mehr oder weniger jiidisch-po- litischen Zwecken dienstbar gemacht. Da unternahm es die ,,Jugendgemeinde", die ause:nanderstrebenden Richtungen zu- sammenzufuihren, ihnen einen gemeinsamen Impuls zu geben und auch die indifferent Jugend der Gemeinde zu gewinnen. Allmahlich aber dringten die aktiveren Elemente auf Bildung von bfindisch organis*erten Gruppen. Wahrend wir es sonst in unserem kurzen Bericht aus mehrfachen Griinden vermeiden wollen Namen zu nennen, so miissen wir doch die Hauptwortfiihrer dieser entschieden bun- dischen Richtung erwahnen, weil sie es verdienten auch von den Jiingeren gekannt zu werden, die nicht mehr Gelegenheit hatten, sie pers6nlich kennen zu lernen: wir meinen S:egbert Stahl und Marie Jacobi, die uns beide ein hartes Geschick friih entrissen hat. Unter ihrer Ffihrung ist wie gesagt die ,,Jugendgemeinde" in ihre zweite Entwicklungsphase eingetre- ten. Pfadfindertum (Zofiuth) hieB die neue Parole. Doch der Gedanke der Zofiuth war es gleichzeitig, der in der ,,Jugend- gemeinde" neue Spaltungen hervorrief. War sie bisher neutral im besten Sinne gewesen, d. h. konnten sich in ihr alle Grup- pen nach ihrem individuellen Charakter entfalten, so forderte nunmehr eine bestimmte Richtung die alleinige FiPhrung. Aber auch diese Str6mung war einigen nicht entschieden genug, der national-judische Charakter trat hier in den Hintergrund und sollte mehr allgemein-sozialen Tendenzen das Feld rau- men. Die Trennung war offenbar unvermeidlich geworden und so spaltete sich eine Gruppe nach der andern ab. Zwar blieb die ,,Jugendgemeinde" noch geraume Zeit bestehen, aber eben das, was sie gewollt hatte, eine Gemeinde im Kleinen mit all ihren yerschiedenen Richtungen zu sein, war dadurch unmoglich geworden. Immexhin war der Versuch, die gesamte lpemeinde-Jugend zu vereinigen, neu und wenn auch der auBere Erfolg auf die Dauer versagt bleiben muBte -- keines- wegs unfrachtbar. Die Erfahrungen und zum Teil auch der Geist der ,,Ju- gendgemeinde" lebte in fast allen aus ihr hervorgegangenen Biinden fort, die auch zunachst auBerlich noch in einem ,,Ring", als einer Art technischer Arbeitsgemeinschaft, zu- sammengeschlossen blieben. Freilich hatte die Gemeinde selbst nun nicht mehr sozusagen das Protektorat wie bei der ,,Ju- gendgemeinde" (weshalb wir auch in diesem Zusammenhang ausfiihrlicher von dieser gesprochen haben). Sie arbeitete aber dennoch eng mit den Biinden zusammen. Sie stellte ihnen ein Jugendheim (F 2, 14) zur Verfiigung und lieB ihnen auch sonst mancherlei Unterstiitzung angedeihen. Besonders eng waren, wie natiirlich, die Beziehungen zum Jugendamt der Gemeinde. Von kleineren Gruppen abgesehen sind heute die meisten Biinde, deren Namen wir gar nicht alle aufzihlen wollen, zionistisch eingestellt. Um so bedauerlicher erscheint es, daB sie in Ueberbetonung des Trennenden vielfach das Einende aus dem Auge iu verlieren Gefahr laufen. Die Biinde umfassen heute den weitaus groBten Teil der Gemeindejugend; nur wenige stehen noch bewuBt abseits, von den Gleichgfiltigen, auf die es hier nicht ankommt, zu schwei- gen. Es kann daher fur die Gemeinde und gerade in Mann- heim war man sich dessen dank ihrer Leitung friih bewuBt - nichts Nebensachliches sein, auch fernerhin mit den Biinden, und besonders solchen, in denen ein neuer jiidischer Geist nach den ihm gemaBen Lebensformen ringt, in enger Fiihlung zu bleiben. Dr, Kurt Berg. Der Sport Bei der Er6rterung der Erziehung und Ausbildung unserer jifdischen Jugend und der Fiirsorge ffir diese junge Generation darf die korperliche Ertiichtigung nicht unberiicksichtigt blei- ben. Neben einem guten und aufrechten Charakter, neben einem umfassenden geistigen Riistzeug, neben einer soliden beruflichen Ausbildung muB der junge jiidische Mensch einen widerstandsfihigen K6rper besitzen. Die sportliche Ausbildung ist daher ein wichtiges Kapitel auch der jildischen Jugend- erziehung. AuBer der Durcharbeitung aller K6rperteile bei einer fachgemaB und verantwortungsbewuBt- angeleiteten Austibung sportlicher Uebungen warden auch gute seelische und charakterliche Auswirkungen .erzielt. Ein gesunder Ehr- geiz, Willenskraft, die Hergabe der letzten Kraft und damit PflichtbewuBtsein werden gestarkt. Der Mannschaftssport f6rdert Unterordnung und Disziplin und IaBt beim Jugendlichen d'e Notwendigkeit des Blickes auf das Ganze vor egoistischem Eigendenken erkennen. Getragen wird dieses Arbeitsgebiet von den jiidischen Sportorganisationen innerhalb der jiidischen Gemeinde Mann- heim. Zwei Vereine geben sich dabei die erdenklichste Miihe und eifern sich gegenseitig durch gute Leistungen an. Da arbeitet der Jiidische Turn- und Sport-Vereii Bar Kochba - Mitglied des deutschen Makkabikreises seit fiber 23 Jahren an der Aufgabe der korperlichen Ertiichtigung der jiidischen Jugend. Seit Juli 1933 ist auch die Sportgruppe des Reichs- bundes jiidischer Frontsoldaten Mitglied des Sportbundes des RIF. im gleichen Sinne tiitig. Turnen in Schiiler-, Ju- gend- und Altersriegen, Leichtathletik, FuBball, Handball, Jiu- Jitsu, Ringen und Boxen, Tisch-Tennis werden in beiden Ver- einen betrieben. Der RjF. hat dazu noch eine Hockey-Abtei- lung. Beide Vereine haben Schach-Abteilungeit. eingerichtet. Ein Bild von der groBen Arbeit solcher Sportvereine kann man sich machen, wenn man weiB, daB der Bar Kochba etwa 400 uid der RjF. 420 Mitglieder zhlt und jeweils mehrere FuBblall-, Handball-, Hockeymannschaften und Turnriegen un- terhalt. Alle diese Mannschaften etwa 15 je Verein - wolleri Sonntags ihren Sport treiben, dazu kommen alle die Einzelturner und Leichtathleten, die zu Wettkimpfen wollen. Seite 32 14. Jahrgang / Nummer 17 . Israelitisches Gemeindeblatt 14. Jhrgag I ununr 17Israelitisches Gemein-deblatt Sie3 Eine groBe und gut durchdachte Organisation und viele Mittel sind notwendig, um diese Arbeit fiberhaupt durchffihren zu k6nnen. Beide Vereine haben provisorische Turnhallen. Mit vieler Mfihe wurde in den letzten Monaten ein Sport- platz geschaffen. Neben der selbstlosen Arbeitsleistung durch Sportier des Bar Kochba und durch sportkameradschaftliches Zusammenarbeiten beider Vereine konnte dieses Sportgelindne geschaffen und vor wenigen Wochen der Oeffentlichkeit fiber- geben werden. Eines aber muB besonders hervorgehoben werden. Viel- leicht nirgends so wie in Mannheim herrscht Eintracht und Frieden zwischen den Leitungen und Sportlern der beiden jiidischen Vereine. Der Sportplatz wird abwechslungsweise von beiden benfitzt, bei Wettspielen eines Vereines ist die Un- terstfitzung auch des anderen Selbstverstiindlichkeit. Die schblnsten Treffen aber sind jeweils die des RjF. gegen Bar Kochba. So zeigt auch hier der Sport seine guten Wirkungen. Die Pflicht an der Allgemeinheit ist oberstes Ziel. Dr. Hans GQtzl Arthur LUwenbaum. Dank Es ist uns ein Bediirfiis, an dieser Stelle all denen unseren Dank auszusprechen, die durch ihre Mitarbeit das Zustande- kommen dieser Nummer ermoglicht und gefordert haben. Neben den Autoren und redaktionellen Mitarbeitern danken wir besonders auch Herrh Julius Guggenheimer, Memmin- gen; ebenso der Arbeitsgemeinschaft jiidischer Amateur- photographen, Mannheim,, die sich fur die Beschaffung des groBten Teils des in dieser Nummer erschienenen Bildmaterials zur Verftigung gestellt hat. Die Schriitleltung. Sportplatz Photo Arbeitsgameinschaft Verantwortilch fflr den redaktionellen Tell: Dr. Franz-Ludwig Auerbach, Mannheim, B 7, 7. Verantwortlich fflr die Anzeigen Fritz Neubauer, Ludwigshafen a.Rh. Druck: Gebt. Neubauer, Ludwigshafen a. Rh. Verlag: Israel. Gemeinde Mannheim. D.-A. 2. VJ. 2071 Exemplare. Gfilltige Anzeigenpreisliste Nr. 3 vom 1.Januar 1936. 14. Jahrgang / Nununer 17 Istaelitisches Gemeinaeblatt Seite 33 GEGRUNDET 1893 ib ? enden Abteilungen unseres Unternehmens S^ nl ereit, Sie mit hochwertigen Leistungen in der wicklung Ihres Geschdftes wirksam zu unterstatzen. Buchdruck Akzidenzen von der Besuchskarte bis zum mehrfarbigen Katalog. Werkdruck, Doktor-Dissertationen, Uebernahme von Zeitschriften und Werken im Lohndruck. Lieferung von Setzmaschinen-Satz for Druckereien. Transkritdruck D.R.P. ROckseitig eingeffirbte Durchschreibe-Formulare, die nicht schmie- ren und deren Durchschreibeflachen unbegrenzt haltbar sind. Kosten- lose und unverbindliche Vorschlage zur Umstellung Ihrer Schreib- arbeit auf dieses Zeit und Geld sparende Verfahren. Lieferung von ExpreBgut-Karten, Postpaket-Karten und allen anderen Versandpapieren. Wiegekarten in jeder gewunschten Ausfuhrung. Stempelfabrik Kurzfristige Lieferung. Verlag. Buch- und Zeitschriften-Verlag. Israel. Gemeindeblatt B, offiz.Organ der israel.Gemeinden Badens. Judische Schulzeitung, Monatsschrift for Erziehung, Unterricht und Schulpolitik. Nachrichtenblatt der Synagogen-Gemeinden des Saarlandes. Druck des Israel. Gemeindeblattes A, offizielles Organ der Israel. Gemeinden Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und des Verban- Modernste des der Kultusgemeinden der Pfalz. Druck- und Setzmaschinen und ein auserlesenes Schriften-Material stehen uns zur Verf gung. B U C H D R U C K E R E I ebauebt Stenbantc Ludwigshafen a. Rh., Schulstr. 14, Telefon Sammel-Nr. 62318 A A ;AKAA A 4<14A. ~ A< A> ~A 444 ~A 4 ~ 4 4A~ ~ 4 A ~A ~J&> ~~A >A~ AA A j>~AA AlA> ?j 5 >14 A A~> &lAIjA~ ;~ ~AA A>A4 A'<5 A A A> ' A A A ~ A A A1A~ Al4 A,> ' A I A> > A> A AlA;? I A A A >~ A -, A 4' 4 ,,,' A'> 'A 'A < S / A jA A~~A>AA~A>AA 'A> >4 'A; ? 4 ,A A 'A''' 'A 5 A>' "A -~ ,,~ A A> -~ Al>' 'A> 'A A' A> >' A 75 A' A AAA A 'A' A A, 'A> ,' <'A~' 75' ' A> A'. A A' '"'A A A A A A, A A ~ A 4> A 4 "AlA j~A/5 ' ~A; A A A j A '<>14 A ~ Ai'A'AAA K4A~ A> >AA' >~ Al> > AISA> AAAAAAAA' 5 A A A A ~AA A A A A5JA ~A'A 5 4 4~4 A>'<>,A'1~ A' 4, / ~Aj~ ~ 4 4, A AAAA>45 s'Al< Al A -.-. .r . ... ,4-, A E- "4- I m i v. .. 'a! 1 1 0441 "".It .' ''. 4. '" "4 ", . W4 f 4~M VP is Ml- g sj,. l.. ... .. .... j ..t4'r- .- *. A H.4 4. -. ." .. .:.'. .. -.., . All ." '-".. -," .- -, - zw ... .*4 4. o -. '. ,. pi r -4v l.A~ RU.- - 1 Lill. '" =. ". .r .z "" !". - -. -,. $ 7 ..- -.. ..," ... ,- -.. ..- ... -..- : ''i -... ,- ..,..'. ... .'. .,.. o.*, - ;i.- 4 .. "4-.. ".. ." *:': ,,.4,. -., -.4',7 "'- ."".. i-'".", ':ii! i -,... .-;. :. -., :j i -- .." .- ... ...o -. 4 .. ., . -. , 4. .. ... 4.4 .: 4.. .. .4 .- 4...'. .4,. .I v -4'..% |